Dschungel-Gold
Doktor?«
»Ja! Verdammt, ja! Und außerdem muß ich die Kerle dann zusammenflicken.«
»Warten wir es ab!« wiederholte sich Pater Burgos. »Die Frühschicht ist im Berg, die Nachtschicht schläft, und wer jetzt frei hat, sitzt in der Kneipe. Wie ich schon sagte: Wenn nur einer zur Kirche pilgert, bin ich fröhlich und lobe den Herrn.«
Um zehn Uhr – Dr. Falke stand mit Pater Burgos am Eingang der Kirche, der mit Blumen umkränzt war, eingerahmt von blühenden Girlanden – erscholl in der Ferne plötzlich ein vielstimmiger Gesang. Avilas Soldaten nahmen die Waffen schußbereit in die Hände. Eine ungeheure Spannung lag über diesem Teil der Stadt, der jetzt nur von Avilas Schutztruppe bevölkert war. Vom Berg her dröhnten ab und zu die Sprengungen, mit denen man den Fels aufriß, um neue Schächte zu graben und neue Goldadern freizulegen. Es war jedesmal, als schreie der Berg auf, als reiße man Fetzen aus seinem Leib.
Der Gesang näherte sich. Es kam vom Areal der Waschanlage her, wo Platz genug war, um viele Menschen zu versammeln. Und dann sahen sie die ersten Pilger: Ein Mann trug eine Fahne, die vor vier Jahren von einem Goldgräber entworfene Fahne der Kolonie Diwata – ein bizarrer Berg unter einer goldenen Tropensonne –, und ihm folgten vierhundertsieben Huren in Sechserreihen, angeführt von dem dicken Manuel Morales und der Oberhure Carmela. Sie trugen alle selbstgenähte, bunte Festtagskleider, waren geschminkt und frisiert und sahen so appetitlich aus, daß selbst Avilas Männer mit der Zunge schnalzten. Als die Hurenformation um die Straßenecke schwenkte und die Kirche sah, ertönte ein jubelnder Gesang. Vierhundertsieben Frauenstimmen lobten die Mutter Gottes.
»Ungeheuerlich!« sagte Dr. Falke überwältigt. »Das dürfte so einmalig sein wie dieses ganze Diwata.« Dann verstummte er.
An der Ecke erschien das große, schwere, massige Kruzifix aus Mahagoni. Der Christus am Kreuz, der aussah wie einer jener Gesetzlosen, die gerade aus dem Schacht des Goldberges gekommen waren.
Getragen wurde das schwere Kreuz von einem Riesen von Mann, einem bulligen Kerl mit breitem finsterem Gesicht, das obendrein von einer aufgequollenen Narbe über der Stirn entstellt war. Den Schaft des Kreuzes hatte der Mann in einen ledernen Köcher gesteckt, der an breiten Riemen um seinen Nacken hing. Mit sicheren Schritten und ohne zu wanken schleppte der bullige Kerl das Kruzifix vor sich her … und sang sogar dabei.
»Was sagen Sie nun?« fragte Pater Burgos ergriffen.
»Ich gratuliere zu diesem Gläubigen.« Dr. Falke vermied es, Burgos jetzt anzusehen. »Es ist Jean-Jacques, ein vierfacher Mörder …«
»Sie kennen ihn?«
»Die sorgfältig genähte Narbe auf seiner Stirn ist mein Werk. Jemand hatte versucht, ihm mit einem Beil den Schädel zu spalten. Daß er überlebt hat, verdankt er mir.«
»Und jetzt trägt er das Kreuz. Doktor, Sie haben einen guten Menschen aus ihm gemacht.«
»Irrtum! Die vier Morde geschahen nach dem Beilhieb! Und selbst jetzt, wo er das Kreuz schleppt, glaube ich nicht, daß er die Morde bereut.« Dr. Falke zog das Kinn an. »In Diwata wohnt ein besonderer Menschenschlag.«
Dann schwieg er wieder. Was er jetzt sah, mußte er erst begreifen und verarbeiten.
Hinter dem Kreuz ging Belisa García, eingerahmt von ihren drei Brüdern. Auch sie sangen, und man erkannte Andacht in ihren Mienen. Ihnen folgte ein Heer von Goldgräbern, in Sonntagsanzügen, soweit man die schäbigen Sachen, die sie trugen, so nennen konnte. Es war deutlich zu sehen, daß sie gebadet und ihre am wenigsten schmutzige Kleidung angezogen hatten. Auch diese Männer begannen zu singen, als sie auf den Platz zogen und die Kirche sahen. Plötzlich war alles nur Gesang: die Hütten und Zelte, die offenen Abwasserkanäle, die steinigen oder lehmglitschigen Wege, dieser ganze verrottete Slum, der der Morgensonne entgegenstank, diese Anhäufung primitivsten Lebens und im Dreck erstickter Sehnsüchte … alles nur Gesang, der die Hitze bezwang und das Elend zudeckte.
Santa Maria von Diwata, sei bei uns …
Der Gottesdienst und die Weihe der Kirche dauerten zwei Stunden. Es wurde viel gesungen und gebetet, um Gnade gefleht und um Vergebung, und Pater Burgos sprach allen aus dem Herzen, als er am Schluß seiner Predigt sagte:
»Auch wenn wir alle Verfluchte sind, so sind wir doch Geschöpfe Gottes. Wir sind beladen mit Sünden, und es werden von Tag zu Tag mehr. Aber einmal, früher oder später, ist dieses
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