DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
Moment, meine Freunde, werdet ihr mir erlauben, euch ein paar Erfrischungen anzubieten. Nachdem wir gespeist haben, würde es mich beglücken, euch die Freuden von Niwet-Amun zu zeigen. Wir haben viele Baumaßnahmen in der Stadt durchgeführt, seitdem ihr zuletzt hier wart. Ich glaube, ihr werdet sehr großen Gefallen daran finden.«
Die Diener des Hohen Priesters stellten ein ausgezeichnetes Mahl aus Früchten, aromatisierten Broten und einem dicken, milchigen Brei bereit, der aus Mandeln und Honig gemacht war. Nach dem Essen wurden sie in einem Pferdewagen durch die ganze Stadt gefahren; unterwegs machten sie Halt bei Statuen und Monumenten, Kultstätten und Märkten. Bei jedem Halt scharten sich Menschen zusammen – ebenso sehr, um den Hohen Priester zu sehen, als auch, um einen Blick auf die fremden Besucher zu erhaschen. Offensichtlich hatten die Leute große Achtung vor Anen, und als seine Gäste erwarben sich Benedict und Xian-Li einen beachtlichen Status.
Sie verbrachten einen angenehmen Abend und eine erholsame Nacht. Noch vor Sonnenaufgang standen sie auf, um ihre Reise über den Fluss zum Grabmal des Hohen Priesters zu beginnen. Das Boot erwies sich als ein Fahrzeug, das man nach Art einer königlichen Barke erbaut hatte, jedoch schmaler war. Es wurde gerudert und bedient von einer Besatzung aus Sklaven, die – sobald sie das gegenüberliegende Ufer erreichten – von Bord gingen und zu Sänftenträgern für den Ausflug landeinwärts wurden.
Benedict war niemals zuvor in einer Sänfte unterwegs gewesen, obgleich diese Beförderungsmittel in England gelegentlich immer noch zu sehen waren – zumeist kamen sie bei älteren Granden zum Einsatz. Zuerst fand er das Gefühl des Schaukelns und Gleitens ein wenig beunruhigend. Bald jedoch gewöhnte er sich an diese Form der Bewegung und hatte sogar Freude daran. Die drei Sänften – jede wurde von vier Sklaven getragen – befanden sich an der Spitze des Zuges. Ihnen folgten vier Priester zu Fuß und dahinter sechs weitere Sklaven, die Körbe trugen, die das Essen und die Getränke für den Tag enthielten.
Vom Flachland entlang des Flusses reisten sie hinauf in die einsamen, wüstenartigen Hügel, die sich nur etwa eine Meile hinter dem breiten grünen Streifen aus bewässerten Feldern erhoben. Sobald sie in die Wüste gelangt waren, wandten sie sich in südliche Richtung, gingen am Fuß einer steilen, zerklüfteten Klippe entlang und betraten ein Wadi oder einen Canyon, der recht breit war. Doch je weiter sie marschierten, desto enger wurde die Schlucht – an einer Stelle schabten die Seiten der Sänften beinahe die Wände entlang. Dann aber erreichten sie eine breitere Stelle, wo sich das Wadi in zwei große Schluchten teilte.
Hier hielt das Gefolge des Hohen Priesters an. In dem ausladenden Kessel, der durch die drei Rinnen geformt wurde, standen eine große Zeltkonstruktion und mehrere kleinere Hütten. Weitere Wohnstätten säumten die breitere der beiden Abzweigungen – sie alle waren errichtet aus grobem Tuch, das man über leichte Holzrahmen gespannt hatte, und mit einem Dach aus getrockneten Palmwedeln versehen worden. Dies waren die Unterkünfte der Arbeiter, Künstler und Steinmetze, die damit beschäftigt waren, das Grabmal des Hohen Priesters auszuschmücken. Der Eingang zum Grab selbst war eine einfache rechteckige Öffnung, die man in die Kalksteinwand der Schlucht geschlagen hatte.
»Könige und Königinnen haben ihre geheiligten Täler«, erklärte Anen heiter. »Dies hier ist meines.« Mit einer gebieterischen Geste seiner Hand wies er auf den ganzen Canyon. »Dies ist der Ort, wo mein Ka leben wird, bis die Zeit endet und das Paradies zur Welt der Menschen zurückkehrt.«
»Und was passiert danach?«, wollte Benedict wissen, nachdem seine Mutter Anens Worte übersetzt hatte.
»Vergib seine Unverschämtheit, doch mein Sohn würde gerne wissen, was danach geschieht«, sagte Xian-Li.
Der Hohe Priester lachte über diese Frage. »Was danach geschieht? Wir werden im Paradies leben!« Er zeigte auf den Eingang zum Grabmal und fragte: »Möchtet ihr es sehen?«
ACHTZEHNTES KAPITEL
A nen, der Hohe Priester des Amun, stand da und schützte seine Augen vor der Sonne, während er über den oberen Rand der Klippen hinaus auf einen Geier blickte, der hoch oben am Himmel kreiste. Der Schatten kräuselte sich, während er unten über die Wand des Wadis vorbeistrich. »Dies«, verkündete er, »wird bis zum Ende der Zeit versiegelt sein. Dann
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