Du bes Kölle: Autobiografie
Hochwasser so alles vor die Füße gespült wurde, verarbeitete Erry im Text. Aber wenn man sich nun den Rhythmus anhört: Das ist Marschmusik! Was hat dieser Text mit einem Marsch zu tun?
Eigentlich gar nichts, das hätte man besser machen können. Letztlich habe ich das Lied gesungen, obwohl dies nicht selbstverständlich für mich war. Wenn ich mit einem Fööss-Song absolut nichts anfangen konnte, dann entwickelte sich in mir ein natürlicher Widerstand. Und dann habe ich mich auch nicht ans Mikro gestellt, den musste ein anderer singen. Manchmal wurde mir das von der Band als schnöde Verweigerung ausgelegt. Aber ich dachte: »Wo ist das Problem?« Schließlich hatten wir diverse gute Stimmen in der Band.
Und dass bei so einer Rotation die tollsten Überraschungen passieren können, sieht man zum Beispiel an »Moni hat geweint« (Nix es ömesöns, 1991). Das sollte zunächst auch ich singen. Aber für mich gab es nur einen, der diese Nummer performen konnte, und das war Bömmel Lückerath. Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn bereits im Schlager-Outfit auf der Bühne stehen. Als ich das der Band mitteilte, war der Aufschrei groß: »Du häs se doch nit mih all« und so weiter. Das Ende vom Lied ist bekannt: Der Song entwickelte sich zu Bömmels großem Auftritt und wurde ein wunderbarer Erfolg.
Im Nachhinein sage ich mir: Auch »Einmol em Johr« ist insgesamt in Ordnung. Ganz unabhängig davon, dass wir für den Song sogar noch eine Auszeichnung bekamen: vom Umweltministerium in Bonn.
JO, DO WOR WIDDERSTAND
Mit »Morje, Morje – Yarinlarda« (1982) und den »Edelweißpirate« (1983) entwickelten die Fööss ein anderes Standing. Beide Songs hat Rolly Brings geschrieben, der Vater der Brings-Brüder. »Morje, Morje« stammt aus der Zeit des eskalierenden Kalten Krieges und der Mittelstreckenraketen, ob sie nun Pershing oder SS 20 hießen. Noch heute spürt man in diesem Text die Angst, die damals in der Luft lag. Und zugleich ist das Lied eng mit der Geschichte Şakir Bilgins verbunden, auch wenn sein Name nicht genannt wird.
Şakir arbeitete in Köln als Sport- und Türkischlehrer. Als er im Januar 1983 seine Mutter in der alten Heimat besuchen wollte, wurde er festgenommen. Weil er angeblich bei der linksradikalen Organisation Dev-Sol Mitglied sein sollte, was überhaupt nicht stimmte. Aber dieses korrupte Militärgericht in der Türkei hat ihn tatsächlich verurteilt. Şakir hat »Morje, Morje« als »Yarinlarda« ins Türkische übersetzt. Ich habe das Lied dann auf Deutsch und Türkisch gesungen, deshalb wird man auch in den restriktiven Regierungskreisen in Ankara gewusst haben, was diese kölsche Band da so von sich gibt. Und dass sie aufseiten der Lehrergewerkschaft stand und sich für einen Verfemten einsetzte. Jedenfalls zog die Nummer durch ihre Zweisprachigkeit noch mal ganz neue Kreise. Im Februar 1986, drei Jahre nach seiner Festnahme, erhielt Şakir Bilgin Haftverschonung. Im Sommer darauf war er zurück in Köln.
Den Text zu den »Edelweißpirate« haben Reiner Hömig und ich bearbeitet. Weil er viel zu viele Strophen hatte, mussten wir ihn zunächst einmal ein bisschen kürzen. Aber dass wir ihn später mit auf unser »Immer wigger«-Album packen wollten, war gar keine Frage. Die Edelweißpiraten waren damals noch immer ein heikles Thema. Es gab tatsächlich Leute, die diese Jungs nicht als Widerstandskämpfer, sondern als Verbrecher ansahen. Als wir die fertige Platte vorstellten, im Husarenkasino an der Ehrenstraße, haben sogar einige Besucher den Saal verlassen. Zu denen, die sich durch diesen Song brüskiert fühlten, gehörte auch der Brauchtumsforscher und Ex-Bürgermeister Jan Brügelmann, der uns wütend erklärte, das würde alles nicht stimmen, was wir da singen. Aber wenn du dich auf eine Seite schlägst, dann musst du auch dort stehen bleiben, wenn du angegriffen wirst. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Lied sogar im Karneval vorgetragen:
Edelweißpirate, su han se sich jenannt.
Wo dat Blömche jeblöht hät,
jo, do wor Widderstand.
Vielleicht war das zu provokant gedacht, aber ich hatte eh immer meine Schwierigkeiten mit diesem Fest. Um Leben und Tod darf es für die Kölner in der Karnevalszeit eben doch nicht gehen. Immerhin haben wir dieses Lied in der Folge auf jedem anderen Konzert gespielt. Oft war es Hartmut Priess, der die »Edelweißpirate« ansagte. Solche ernsten Songs zu singen, war für mich immer eine ganz besondere Erfahrung. Natürlich wird
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