Du bist das Boese
dem Ei gepellt wie sonst. Es waren nur Details: eine Manschette schaute weiter aus dem Jackettärmel heraus als die andere, sein Scheitel saß etwas schief. Als hätte er sich nach einer Liebesnacht in aller Eile zurechtgemacht, was man in seinem Fall fast sicher ausschließen konnte.
Schweigend lauschte er Balistreris Bericht, der die Schnüffeleien, den Fahrer am Flughafen, Belhrouz’ Zusage, ihnen zu helfen, und den SUV unerwähnt ließ.
»Und jetzt willst du auf die Seychellen fliegen, Balistreri?« In seinem Ton lag keine Ironie, nur Verbitterung und Sorge.
Balistreri schüttelte den Kopf. »Das ist eine Sackgasse. Die wahren Besitzer der ENT würden wir da auch nicht finden.«
»Falls das überhaupt von Bedeutung ist für die Verbrechen an Nadia und Camarà«, präzisierte Pasquali.
Balistreri verkniff sich den Hinweis, dass sie es mit drei Verbrechen zu tun hatten. Wenn er Pasquali gegenüber zu hartnäckig auf Samantha Rossi insistierte, schaffte er sich nur noch mehr Probleme.
Er wechselte das Thema. »Pasquali, ich weiß, dass heute Abend eine wichtige Sitzung im Kommunalausschuss stattfindet und du dich vorher noch mit dem Bürgermeister, dem Polizeipräsidenten und dem Präfekten triffst. Bitte erklär ihnen, dass …«
Pasquali nickte und zog eine Grimasse, als hätte er sich auf die Zunge gebissen.
»Die Mühlen der Politik mahlen langsamer als die der Polizei. Wenn wir das Casilino 900 und die anderen Lager umsiedeln wollen, brauchen wir einen überparteilichen Konsens, und der ist im Augenblick nicht gegeben. Der Heilige Stuhl sperrt sich ebenfalls. Möchtest du, dass wir mit den Roma aufs Meer rausfahren und sie da einfach über Bord werfen, oder was?«
»Pasquali, dass es eine rumänische Prostituierte und einen Türsteher aus dem Senegal erwischt hat, war pures Glück. Wenn es zwei junge Italiener gewesen wären, vielleicht sogar aus guter Familie …«
Pasquali verscheuchte diese Überlegung mit einer schroffen Geste, als wollte er sie exorzieren.
»Um das zu verhindern, haben wir Leute wie Colajacono«, sagte er. »Außerdem würde hier bei uns niemand einen Roma lynchen.«
Balistreri schüttelte resigniert den Kopf. Er wusste, dass Pasquali das sagen musste, obwohl er selber nicht daran glaubte. Zumal eine weitere Straftat, die man den Roma anlasten konnte, einigen seiner neuen politischen Freunde in die Hände spielen würde.
»Pasquali, bei allem Respekt, da wäre ich mir nicht so sicher. Gewisse Leute haben großes Interesse daran, Öl ins Feuer zu schütten. Rassismus und Intoleranz sind in Italien an der Tagesordnung. Dreh mal eine Runde durch die Schulen in den Vororten oder durch die Fankurven der Fußballstadien.«
»Wie auch immer.« Pasquali wollte es kurz machen. »Der Ausgang der Versammlung heute Abend ist völlig offen. Eine Stimme mehr oder weniger wird entscheidend sein.«
»Vasile hat Camarà nicht erstochen. Er war in der Nacht des 23. Dezember nicht im Bella Blu, sondern hat mit seinen drei Komplizen Villen leer geräumt, deren Besitzer über Weihnachten weg waren.«
»Und du glaubst diesen Leuten?«
»Niemand lügt für jemanden wie Vasile, wenn er damit eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord riskiert.«
»Aber Nadia hat er auf jeden Fall umgebracht.«
Balistreri erzählte ihm von dem verrenkten Handgelenk.
»Was ändert das schon«, sagte Pasquali. »Die ganze Angelegenheit hat in irgendeiner Weise mit dem Milieu zu tun. Roma, Rumänen, Casilino 900 – da musst du suchen.«
Balistreri spürte, wie sich die Unruhe in seinem ganzen Körper ausbreitete. Pasquali beharrte auf seinen absurden Ideen. Und wenn ein intelligenter Mensch das tut, steckt meistens mehr dahinter.
Nachmittag
Der Anruf von Avvocato Morandi kam völlig unerwartet. Hagi wollte mit ihm reden. Sie verabredeten sich im Billardcafé, gleich nach dem Mittagessen.
Als er im Bus Richtung Via Tiburtina saß, wurde Balistreri bewusst, dass sein erster Besuch dort nicht einmal eine Woche zurücklag. In diesen wenigen Tagen hatte sich das Viertel sehr verändert. Die Weihnachtsdekoration war verschwunden, dafür sah man nun ein Wahlplakat nach dem anderen am Fenster vorüberfliegen. Heftige Attacken gegen den Kommunalausschuss, larmoyante Rechtfertigungsversuche des Bürgermeisters. Jeder gab dem anderen die Schuld, alle redeten von einem falschen Integrationsansatz, und niemand hatte eine Lösung. Der Wahlkampf machte nicht einmal vor den Toten halt.
Die Strategie der Spannung damals hatten
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