Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
Vom Netzwerk:
der zähen Wirklichkeit. Den Balistreri von 1970 konnte man sich gut mit der Pistole in der Hand vorstellen. Der Balistreri auf diesem Hügel allerdings musste offenbar dazu gezwungen werden, auf die Rumänen zu schießen.
    Sie fragte sich, ob es wohl eine Chance gab, in diesem Mann noch einmal sein früheres Ich wachzurütteln, um das Böse aus der Hölle zu zerren und zu vernichten.

Februar – März 2006
    Sein Bruder Alberto, Mastroianni, Piccolo, Corvu und Angelo Dioguardi hatten es so eingerichtet, dass er während der Besuchszeiten nie allein war. Mitte Februar bestachen sie die Stationsschwester, und Balistreris Einzelzimmer wurde zum Treffpunkt für abendliche Pokerrunden. Was das Rauchen anging, konnten nicht einmal Mastroiannis Verführungskünste die Stationsschwester erweichen, also spielten sie trotz eisiger Kälte bei geöffnetem Fenster, damit Balistreri wenigstens ein paar Züge genießen konnte. Kein Wort über die Verbrechen, die ENT oder die Arbeit. Nur Pokern und eine Zigarette am Abend.
    Balistreri hatte noch nicht mit Linda gesprochen, aber ihre ungewohnt nüchternen und nichtssagenden Artikel empfand er als persönliche Botschaft an ihn. Leere Zeilen in Erwartung des nächsten Gesprächs. Auf dieses Versprechen setzte Balistreri seine ganze Hoffnung. Werd in Ruhe gesund, Michele. Ich warte auf dich.
    Als die Ärzte der Ansicht waren, dass er nach Hause gehen und die Reha von dort aus fortsetzen könne, fühlte sich Balistreri fast verloren. Er hatte sich an diese Umgebung gewöhnt, in die nur ein gedämpftes Echo und, dank seines Bruders und seiner Freunde, die schönen Dinge des Lebens Eingang fanden. Die Rückkehr in seine Wohnung nicht weit vom Büro machte ihm ebenso viel Angst wie der direkte Kontakt mit der Stadt. Die Krankenhausmauern waren ein wunderbarer Vorwand für seine Kapitulation gewesen. Was hätte er dort drinnen schon tun können. Aber wenn er wieder draußen war, lag es einzig an ihm, ob er sich erneut an der Welt reiben wollte.
    Allein die Aussicht, Linda Nardi wiederzusehen, versüßte ihm die Vorstellung, das Krankenhaus zu verlassen. Je eindringlicher er sich verbot, an sie zu denken, desto öfter kam sie ihm in den Sinn. Auch die fiktiven Gespräche mit ihr und das scheinbare Fehlen jedes körperlichen Begehrens beunruhigten ihn. Schließlich gelangte er zu der Einsicht, nun endgültig ein alter Mann zu sein.
    Als er am Morgen des 15. März, seinem letzten Tag im Krankenhaus, die Fenster öffnete, begrüßte ihn einer jener strahlenden Tage, mit denen sich in Rom der Frühling ankündigt. Er saß im Sessel und füllte die Entlassungspapiere aus, als die Krankenschwester ihm außerhalb der Besuchszeit einen Gast ankündigte.
    Linda Nardi war noch viel schöner geworden.
    Wahrscheinlich, weil ich sie zum ersten Mal mit anderen Augen sehe. Mit den Augen des Soldaten, der aus dem Krieg heimkehrt. Geschlagen, aber lebendig.
    Sie blieb einen Moment stehen, dann streckte sie die Arme aus. Er erhob sich, wankte leicht auf seinen Krücken und ließ sich umarmen. Eine stille, reglose Umarmung, die von sehr weit her kam.

Frühling 2006
    Von diesem Tag an war Linda seine dritte Krücke. Sie redeten nicht darüber, es war auch keine bewusste Entscheidung, es geschah einfach. Sie richtete ihm das Gästezimmer in ihrer kleinen Dachwohnung ein. Morgens begleitete sie ihn zur Physiotherapie. Nachmittags drängte sie ihn zu langen Spaziergängen durch die Gassen der Altstadt oder durch Trastevere, wo es im Frühling von jungen Leuten und Touristen nur so wimmelte, damit er sich wieder ans Laufen gewöhnte.
    Wenn er müde wurde, kehrten sie in ihre Wohnung zurück, setzten sich auf die blumengeschmückte Terrasse mit Blick auf die große Kuppel und ließen sich dort das Abendessen schmecken, das Linda zubereitete. Nie sprachen sie über jene Nacht, in der Michele Balistreri fast gestorben wäre, und auch über die Verbrechen sprachen sie nicht. Er erwähnte sie nicht, und sie machte einen großen Bogen darum.
    Linda lernte seine Freunde und die Familie seines Bruders kennen. Allmählich stellte sich ein gewisser Alltagstrott ein, den Balistreri immer zu hassen geglaubt hatte. Verschiedene Paare erschienen zu Besuch: Alberto und seine Frau kamen jeden Samstag, Angelo und Margherita fast allabendlich. Corvu und Piccolo schauten gelegentlich nach der Arbeit rein. Auch das Ritual der wöchentlichen Pokerrunde nahmen sie wieder auf. An diesen Abenden ging Linda meist mit Margherita aus.
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher