Du bist das Boese
machte. Wahrscheinlich langweilte er sich, und dieser Besuch weckte seine Neugier.
»Ich danke Ihnen, dass Sie so spontan bereit waren, mich zu empfangen.«
»Ich bin nicht mehr so beschäftigt wie früher, Dottor Balistreri. Außerdem sind die Umstände Ihres Besuchs, wie ich hoffe, weniger unangenehm als früher.«
»Ich werde Ihnen nicht viel von Ihrer Zeit stehlen.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich bin Großgrundbesitzer im Ruhestand. Immer mit tausend Dingen beschäftigt, aber doch im Ruhestand. Und möglicherweise habe ich sogar auch eine Bitte an Sie. Was Sie in den vergangenen Monaten durchgemacht haben, ist mir sehr nahegegangen, müssen Sie wissen. Auch wenn es mich nicht sonderlich überrascht hat.«
Balistreri beschloss, nicht darauf einzugehen.
»Fast wäre zwischen Rumänien und Italien ein Krieg ausgebrochen.« Den Conte schien diese Vorstellung zu amüsieren.
»Offensichtlich reicht aber ein guter Elfmeter, um alles ins Lot zu bringen.«
Der Conte nickte. »Offensichtlich. Wir leben in einer ziemlich oberflächlichen Welt. In unserem Land liegen die Werte unter den Müllbergen der streikenden Straßenfeger begraben.«
Die Dinge um uns herum ändern sich, aber nicht in uns drin.
»Ich weiß, dass Sie sich vor vielen Jahren aus der aktiven Politik zurückgezogen haben.«
Der Conte sah ihn mit einem ironischen Lächeln an. Er flößte ihm denselben Respekt ein wie damals, aber nicht mehr die Angst; als wäre dieser Mann wirklich nur der Großgrundbesitzer im Ruhestand, der er zu sein vorgab.
»Nach den Ereignissen von 1982 habe ich es aufgegeben, die Monarchie in diesem Land wieder einzuführen. Wer möchte hier schon König sein? Ich war zum Scheitern verurteilt, lieber Balistreri.«
»Mir scheint, Sie gehören nicht zu den Menschen, die den Kampf scheuen, Signor Conte.«
»Es war ein ungleicher Kampf. Die Christen waren schon Demokraten, die Kommunisten wurden Demokraten, und unter den gnädig abgewandten Augen des Vatikan stopfen sich nun alle demokratisch die Taschen voll. Zu viele Feinde für einen alten aristokratischen Idealisten.«
Balistreri fühlte sich unwohl. Es war ihm unangenehm, die Vorstellungen dieses Mannes auch nur ansatzweise zu teilen. Dass sie in gewisser Weise denen seiner Mutter ähnelten, war inakzeptabel und abstoßend. In diesem einen Punkt hatte sogar der sonst so folgsame Alberto gegen sie aufbegehrt.
Misstraut den Katholiken, meine Söhne. Diese Religion beruht auf Ressentiments, Schuldgefühlen und Reue. Misstraut der Moral der Schwachen, die jede Lebensfreude verneint.
Der Conte hingegen war vollkommen gelassen und ruhig. Er plauderte mit ihm, als wären sie alte Freunde.
»Vermutlich sind Sie aber nicht gekommen, um mit mir über Politik zu reden, Dottor Balistreri. Der Selbstmord der Mutter dieses Mädchens hat sicher eine böse Wunde wieder aufgerissen.«
Vierundzwanzig Jahre später und wenige Tage nach dem Selbstmord von Giovanna Sordi tauchte er wieder auf. Woher sollten Padre Paul, Valerio Bona und nun der Conte wissen, dass er über etwas anderes mit ihnen sprechen wollte?
»Eigentlich bin ich aus einem anderen Grund hier. Leider oder zum Glück.«
Der Conte zog höflich eine Braue hoch. »Hat es mit Ihren kürzlichen Malheurs zu tun?«
»Das weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Vielleicht, aber ich bin mir nicht sicher.«
Der Mann lächelte. »Wie ich sehe, haben die Jahre die Weisheit des Zweifels in Ihnen erweckt. Das ist übrigens einer der wenigen Vorteile des Älterwerdens.«
»Ich muss mir über einige Beziehungen von damals Klarheit verschaffen, und die betreffen teilweise auch Sie.
»Zuvor würde ich schon gern erfahren, in welcher Angelegenheit ich Ihnen behilflich sein darf, Dottor Balistreri.«
»Ich bin Polizist, Signor Conte. Die Ermittlungen, die ich durchführe, sind streng vertraulich.«
»Aber Sie wissen doch, dass ich ein diskreter Mensch bin. Ich könnte Ihnen sicher besser helfen, wenn ich wüsste, worüber wir reden.«
Balistreri entschied, dass er es riskieren konnte, wenn er die ENT und die eingeritzten Buchstaben außen vor ließ.
»Ich jage einem Schatten hinterher«, begann er.
»Gut«, sagte der Conte. »Eine so interessante Geschichte ist glatt dazu angetan, neuen Schwung in einen heißen Samstagnachmittag zu bringen. Und zu Ihrer Motivation …«, er drückte auf die Taste einer Fernbedienung. »Das hier ist das einzige Zimmer mit Rauchentferner.«
Der Conte freute sich über sein
Weitere Kostenlose Bücher