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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
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mindestens eine Stunde in seinem Club.«
    Als Manfredi den Salon betrat, verstand ich, warum er weder Spiegel noch Fremde mochte. Abgesehen von seinem Gesicht war er ein ganz normaler Junge. Fast so groß wie ich, durchtrainiert und wohlgeformte, aber nicht übertriebene Brustmuskeln und Bizepse. Vom Hals an aufwärts hatte sich das Schicksal allerdings einen grausamen Scherz mit ihm erlaubt. Eine Hasenscharte und ein aprikosengroßes violettes Angiom, das sich bis zum geschwollenen linken Augenlid hochzog, entstellten ihn. Sein glattes, schwarzes Haar trug er schulterlang und ließ es ins Gesicht fallen, um seine verunstalteten Züge dahinter zu verstecken. Das sichtbare Auge war sehr schön und hatte, wie die Augen seiner Mutter, die Farbe des Meeres.
    »Der Polizist, der gern Grimassen schneidet«, begrüßte er mich ohne Umschweife. Seine Stimme war leicht kehlig, wie es die Stimme von Jungen in seinem Alter halt ist. Die Kunst des Kommandierens hatte er von seinem Vater noch nicht gelernt, doch er verfügte zweifellos über ein hohes Maß an Angriffslust.
    »Dottor Teodori und Dottor Balistreri müssen dir ein paar Fragen stellen, Manfredi«, sagte der Conte.
    Der junge Mann schwieg und wartete. In der Luft lag etwas, das ich sehr gut kannte, die scheinbare Ruhe eines Menschen, der seinen Zorn nur mit Mühe in Schach halten kann. Eine Übung, in der ich selbst es zu Höchstleistungen brachte.
    Ich beobachtete den muskulösen Jungen mit dem unförmigen Gesicht und fragte mich, welche Gedanken ihm wohl täglich durch den Kopf gehen mochten. Um sich selbst zu akzeptieren, reichte es nicht, die Spiegel abzuhängen. Ganz sicher musste man auch noch die negativen Reaktionen der anderen ausmerzen. Ein Blick zu viel, das Kichern eines Mädchens, was auch immer. Mir kam eine Ahnung, und einen kurzen Moment lang fragte ich mich, ob es eine Ahnung war oder ein Vorurteil. Für gewöhnlich vertraute ich meinem Instinkt aber.
    »Es wäre sehr nützlich, wenn Sie uns sagen könnten, ob Sie Elisa Sordi am Sonntag gesehen haben«, begann Teodori. Ich war nicht glücklich über diesen Ansatz, hielt mich jedoch zurück.
    »Ich habe sie von der Terrasse aus gesehen, mit dem Fernglas«, antwortete Manfredi, ohne zu zögern.
    »Mit dem Fernglas?«, rief Teodori leicht überrascht.
    »Ein Geschenk meines Vaters, ein Militärfernglas der Königlich Italienischen Marine.«
    »Und am Sonntag haben Sie Elisa Sordi mit dem Fernglas von der Terrasse aus gesehen?«
    »Ja, zwei- oder dreimal. Ich habe gesehen, dass sie gegen elf Uhr kam, sich kurz mit Signora Gina unterhielt und meine Mutter grüßte. Dann habe ich gesehen, wie sie gegen eins fortging und um zwei wiederkam.«
    »War sie allein?«
    »Sie ging alleine fort. Als sie zurückkam, war der junge Mann dabei, der für meinen Vater die Computerarbeit erledigt.«
    »Haben die beiden sich gestritten?«, fragte Teodori hoffnungsvoll.
    Manfredi schob für einen Moment die Haarsträhne aus seiner linken Gesichtshälfte. Wahrscheinlich wollte er sich den Trottel, der vor ihm stand, genauer ansehen.
    »Ich habe die beiden gesehen, aber nicht gehört. Der Typ gestikulierte, aber ob sie sich gestritten haben, weiß ich nicht.«
    »Was hatte das Mädchen an?«, fragte ich übergangslos.
    Die Miene des Conte umwölkte sich, doch gegen eine solche Frage konnte er nichts ausrichten.
    Manfredi würdigte mich keines Blickes. »Jeans, weiße ärmellose Bluse und flache Turnschuhe.«
    »Trug sie einen BH?«
    Ich musste den Conte nicht ansehen, um seinen Abscheu zu bemerken. Ulla schaute ihren Sohn verlegen an. Manfredi verzog keine Miene.
    »Ja, ich erinnere mich, dass die Träger aus der Bluse herausschauten.«
    Ein hervorragender Beobachter, wie ich vermutet hatte.
    »Dürfte ich erfahren, was diese Frage soll?«, erkundigte sich der Conte.
    »Wir konnten die Kleider des Mädchens nicht am Tatort finden. Für uns ist jedes Detail wichtig, auch, ob sie Unterwäsche trug.«
    Manfredi sah mich herausfordernd an.
    »Ob sie auch einen Slip trug, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen.« In der Stimme lag keine Spur von Ironie, er wollte sich nur für meine Provokationen unten im Park rächen.
    »Manfredi!«, rief Ulla.
    »Manfredi», rief auch der Conte. »Das ist nicht der richtige Moment für Scherze!«
    »Entschuldigung«, antwortete er ernst. »Ich wollte der Polizei nur helfen.«
    »Zurück zu jenem Sonntag«, fuhr Teodori behutsam fort. »Aus der Nähe haben Sie das Mädchen nicht gesehen?«
    »Nein.

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