Du bist die pure Sinnlichkeit
alldem bedeutet heute noch etwas.”
Ryan schwieg. Die Dinge, die sie gesagt hatte, gaben ihm zu denken. Sein Blickwinkel änderte sich auf verrückte Weise, und plötzlich sah er sich mit Alexas Augen. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, was er da sah. Plötzlich schienen Dinge, die aus seiner Sicht absolut einen Sinn gemacht hatten, aus ihrer Sicht herzlos und kalt zu sein.
„Ich bin nicht arrogant und selbstsüchtig - außerdem habe ich kein Interesse daran, anderen meinen Willen aufzuzwingen”, protestierte er. Seine intensiven, dunklen Augen suchten ihren Blick.
„Oh, ich zweifle nicht daran, daß du eine ganze Armee Zeugen herbeischaffen kannst, die dich als himmlisches Wesen preisen.” Alexa zuckte die Schultern. „Doch ich wette, daß du niemandem dieser Leute nahestehst, daß du ihnen nur deine Schokoladenseite gezeigt hast. Hast du vielleicht einen einzigen Freund, dem genug an dir liegt, daß er dir ins Gesicht sagt, daß du dich möglicherweise manchmal irrst?
Abgesehen von Melissa natürlich, auf die du ja sowieso nie hörst.”
Ryan dachte an den großen Kreis seiner Bekannten. Sie hatte recht, er hatte keine Freunde. Sicher würde niemand von ihnen seine Absichten oder Entscheidungen in Frage stellen. Da er für Melissa die Verkörperung des Bösen darstellte, war er der Ansicht, er könnte alles, was sie sagte, als rachsüchtig und schlecht abtun.
„Ich glaube, du bist eifersüchtig auf die Zuneigung, die Kelsey für ihren kleinen Bruder empfindet”, fuhr Alexa fort. „Du denkst, Melissa würde Kyle dazu benutzen, um Kelsey für sich zu gewinnen. Doch die Wahrheit ist, daß der kleine Junge eine eigenständige Person ist und deine Tochter ihn einfach gern hat. All die Puppen, Spielsachen und Dinge, mit denen du sie überhäufet, können ihr den Bruder nicht ersetzen. Du belügst dich selbst, wenn du das glaubst.”
Ryan sah bedrückt aus. „Ist das dein Ernst?”
Noch ehe sie antworten konnte, wurde die Kinderzimmertür geöffnet, und Melissa trat mit einem fröhlichen „Hallo, wir sind zurück!” ein.
Alexa erstarrte, Melissa ebenfalls. Sämtliche Farbe schien aus ihrem Gesicht zu weichen. „Oh, Ryan. Ich… ich wußte nicht… ich bin gerade gekommen und ich… ich wollte nach Kelsey sehen. Eh, sie ist wohl nicht hier. Haben Sie sie gesehen, Alexa?”
Falls Melissa die Unschuldige zu spielen versuchte, so war ihre Vorstellung ganz unten auf der Glaubwürdigkeitsskala. Alexa verdrehte die Augen.
Ryan wußte sofort, daß etwas nicht stimmte. Er durchquerte mit großen Schritten den Raum, ging hinaus auf den Flur und kam gleich darauf zurück, wobei er Kelsey im Rollstuhl vor sich herschob. Kyle, alias Dylan, saß glücklich auf ihrem Schoß und knabberte an einem Keks.
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Kelsey sah mit großen, ängstlichen Augen von ihrer Mutter zu Alexa. Dennoch gelang ihr ein Lächeln für ihren Vater, und unbekümmert sagte sie: „Hallo, Daddy.
Dies ist Dylan, Alexas Neffe. Er ist ein Drilling.”
Ryan starrte den kleinen Jungen eine Minute lang an. Dann sah er zu Emily und Franklin, die sich mit Stofftieren bewarfen.
„He, Kinder”, rief er. „Wo ist euer Bruder? Wo ist Dylan?” Emily ließ den Teddybär fallen, den sie gerade werfen wollte, und guckte sich im Zimmer um.
„Wo ist Dylan?” fragte sie, als würde sie sich gerade erst an die Abwesenheit ihres Bruders erinnern.
„Dylan nicht hier”, sagte Franklin und grinste schelmisch. „Dylan schläft!” Offenbar fanden die Kleinen das komisch, denn Emily begann, kreischend zu lachen. Franklin schloß sich ihr an. Dann fingen sie wieder an, sich mit Stofftieren zu bewerfen, unberührt von der Spannung, die ihm Raum lag.
„Das ist aber seltsam. Sie scheinen ihren eigenen Bruder nicht wiederzuerkennen”, bemerkte Ryan gemächlich.
„Weil sie dumm sind”, sagte Kelsey schnell. „Wirklich dumm. Sie können sich an nichts erinnern. Ist das nicht traurig?”
„Ich glaube nicht, daß es daran liegt.daß sie dumm sind”, erwiderte ihr Vater. „Mir kommen sie ganz aufgeweckt vor. Ich rate einfach mal und behaupte, dieser Dylan…”, er berührte die dunklen, seidigen Haare des Jungen, „… ist gar nicht ihr Bruder Dylan.”
„Doch, ist er, Daddy”, beharrte Kelsey.
Es machte Ryan traurig, daß seine Tochter das Gefühl hatte, ihn anlügen zu müssen
- und auf dieser Lüge zu beharren, selbst wenn sie schon längst aufgeflogen war.
Doch noch schlimmer war das Bewußtsein, daß er sie dazu gebracht hatte. Er sah zu
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