Du bist in meiner Hand
verschwommen an ihr vorüberflogen. Das Päckchen auf Navins Schoß versuchte sie zunächst zu ignorieren, aber als er es dann auspackte, siegte bei ihr doch die Neugier. Unter dem Stoff kam ein Plastikbeutel zum Vorschein, der ein braunes Pulver enthielt. Navin öffnete den Verschluss des Beutels und hielt prüfend die Nase hinein.
»George muss in einem früheren Leben mal Brahmane gewesen sein«, verkündete er begeistert. »Sein Stoff ist wie der Soma -Saft der Götter.«
Drogen, schoss Sita durch den Kopf. Wieder packte sie die Angst.
Sie fuhren über die lange Brücke zurück ins Zentrum von Bombay. Nachdem sie den Flughafen hinter sich gelassen hatten, bogen sie in eine ungeteerte Straße ein, die zu einem Wohnkomplex führte. Dort parkte der Fahrer den Geländewagen, und Navin ließ Sita aussteigen. Sie folgte ihm ohne ein Wort. Das Pulver ging ihr nicht aus dem Kopf.
Sie fuhren mit einem Aufzug ins oberste Stockwerk des Gebäudes, wo ihnen der Fahrer die Tür zu einer bescheidenen Wohnung aufschloss. Sita folgte Navin in ein kleines Schlafzimmer, dessen Einrichtung sich auf ein eisernes Bettgestell mit einer Matratze beschränkte. Erschöpft setzte Sita sich auf das Bett, den Blick reglos auf die Wand gerichtet. Als Navin sie fragte, ob sie aufs Klo müsse, gab sie ihm keine Antwort, woraufhin er erneut den Kopf schüttelte. Sichtlich verärgert verließ er den Raum und sperrte hinter sich ab.
Eine Weile versuchte Sita noch, die Fassung zu wahren, um sich nicht von Furcht und Sorge überwältigen zu lassen, aber dieses Mal war der Druck zu groß. Sie sank in sich zusammen und begann zu schluchzen. Ihre Eltern waren tot, Ahalya war weg, und nun saß sie hier in einer Wohnung in Bombay, ganz allein mit einem fremden Mann, der mit Drogen handelte.
Navin schloss Sitas Zimmer nur auf, um ihr etwas zu essen zu bringen oder sie austreten zu lassen. Auch bei diesen Gelegenheiten sprach sie nie ein Wort mit ihm. Ansonsten saß sie ohnehin nur die ganze Zeit auf dem Bett und sah mit leerem Blick aus dem Fenster. Die Monotonie ihres neuen Lebens war kaum zu ertragen.
Nachdem das drei Tage lang so gegangen war, trug Navin einen Stuhl in Sitas Zimmer und platzierte ihn ihr gegenüber. Er hatte ein paar große Weintrauben und eine Schale mit Kokosöl dabei.
»Morgen Abend verreisen wir«, begann Navin. »Du musst alles genau so machen, wie ich es dir sage. Wenn du auf mich hörst, bringe ich dich an einen besseren Ort. Gehorchst du aber nicht, könnte es dich das Leben kosten.«
Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, was er da gerade gesagt hatte. Die langen Stunden ihrer Gefangenschaft hatten sie irgendwie abstumpfen lassen. Während sie wie hypnotisiert die Trauben anstarrte, hallten seine Worte in ihr nach. Schlagartig verwandelte sich die Dumpfheit in Angst. Verreisen?, dachte sie. Wieso könnte mich das das Leben kosten? Erst jetzt sah sie ihn richtig an und registrierte seine wütende Miene.
»Vergiss deine Schwester!«, erklärte er gereizt. »Sie ist jetzt eine Beshya . Du bist keine mehr. Hör also auf, hier mit dieser Trauermiene herumzusitzen.«
Wieder sah sie auf die Trauben. »Wohin verreisen wir denn?«, flüsterte sie.
Navin beruhigte sich wieder. »Das erfährst du noch früh genug.« Er überlegte einen Moment. »Hast du schon mal eine Weintraube im Ganzen hinuntergeschluckt?«
Sita riss die Augen auf und schüttelte den Kopf.
»Dann musst du es üben. In vierundzwanzig Stunden musst du es können. Ich werde Kokosöl als Gleitmittel verwenden, dann geht es leichter.«
Sie sah zu, wie er eine Weintraube in das Kokosöl tunkte, bis ihre Haut rundherum glänzte. Dann hielt er sie Sita hin, die jedoch keine Anstalten machte, die Frucht entgegenzunehmen.
»Warum muss ich das tun?«, fragte sie, während sie angstvoll auf die Traube blickte.
Als hätte er ihre Frage nicht gehört, griff er nach ihrer Hand, bog ihr die Finger auseinander, die sie vor Anspannung zur Faust geballt hatte, und legte die Frucht auf ihre Handfläche. »Anfangs wirst du das Gefühl haben zu ersticken, aber du musst den Würgereiz überwinden. Nur dann schaffst du es, sie als Ganzes zu schlucken. Es ist alles eine Sache des Willens.«
Sita befühlte vorsichtig die Traube in ihrer Hand. Sie musste an Ahalya denken und fragte sich, wie ihre Schwester wohl auf diese Herausforderung reagieren würde. Ahalya würde sicherlich Stärke beweisen. Sie würde tun, was getan werden musste, und dadurch überleben. Entschlossen
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