Du denkst, du weißt, wer ich bin
Ichs – dieses Funkeln in den Augen.
»Ich bring dir einen«, versprach ich. »Wenn ich das nächste Mal komme.«
»Erinnerst du dich, wie wir mal versucht haben, selber welche zu machen?«, sagte Katie plötzlich. »Bevor …« Sie hielt kurz inne. »Jedenfalls – als wir noch Freundinnen waren?«
Komisch. Ich hatte ganz vergessen, dass wir das mal gemacht hatten. »Ich weiß immer noch nicht, wie sie es schaffen, dass die Schokolade ordentlich oben kleben bleibt«, sagte ich. »Unsere matschte jedenfalls in dicken Klumpen in alle Richtungen. Trotzdem – irgendwie waren sie lecker.«
Katie blickte jetzt weg – vollkommen wach. »Olive, glaubst du, ich habe eine Essstörung?«
Ihre Frage überraschte mich. Katie hatte immer über ihr Gewicht geklagt. Und es war nicht zu leugnen, dass sie erschreckend dünn war. Es fiel mir wieder ein, warum ich gekommen war.
»Ja«, sagte ich. »Das glaube ich.«
Katie war sichtlich enttäuscht. Sie drückte sich in die Kissen.
»Aber ich glaube nicht, dass du Anorexie oder Bulimie oder sonst was hast«, fuhr ich hastig fort. »Deine Störung ist, dass du gegessen wirst. Von innen nach außen. Und nicht nur dein Körper. Auch dein Geist.«
Vom Gang hörte man, wie jemand einen Servierwagen mit quietschenden Reifen schob. Ich erinnerte mich aus meiner Zeit hier an dieses Quietschen.
Katies Blick war fest auf mich gerichtet. »Was meinst du damit?«
»Diese Sache, die du Miranda auf dem Ball gesagt hast. Du hast recht. Sie stiehlt dir tatsächlich was. Sie versucht, dir dein ganzes Leben zu stehlen.«
Katie zitterte jetzt, und ich wusste, dass ich meine Worte sorgfältig auswählen musste. Wenn ich eine Beschreibung von Shapeshiftern vom Stapel lassen würde – geschweige denn diese Geschichte von den Wespen – würde Katie sofort nach dem Klingelknopf tasten und mich rauswerfen lassen. Ich musste die Sachen aussprechen, die Katie ohnehin schon vermutete.
»Sie will dir alles wegnehmen«, sagte ich.
Einen Moment lang antwortete Katie nicht. Dann nickte sie.
Ich beugte mich vor. »Sie macht sich selbst stärker, indem sie dich schwächer macht.«
»Ja.«
»Du darfst ihr nicht trauen, Katie. Sie ist nicht deine Freundin, egal, was sie sagt.«
Katies Gesicht versteinerte sich. Ich war zu weit gegangen. »Nein, du bist nicht meine Freundin. Du hast mich abserviert , erinnerst du dich? Ohne mir je zu sagen, warum. Ich bin ins Krankenhaus gekommen, um dich zu besuchen. Ich habe mir Sorgen gemacht. Aber man sagte mir, du wolltest mich nicht sehen. Als du dann wieder in die Schule kamst, hast du so getan, als wüsstest du nicht einmal, wer ich –«
»Halt mal einen Moment die Luft an«, unterbrach ich sie wütend. »Schieb nicht alles auf mich. Es war genauso gut deine Schuld wie meine.«
»Über was zum Teufel redest du da?« Katies Stimme krächzte.
»Wir konnten nach dem, was du getan hast, einfach keine Freundinnen mehr sein«, sagte ich, und meine Wut schäumte auf. »Du hast jedem erzählt, dass mein Dad gegangen war. Und von meinem … Vorfall . Also entschuldige mal, so konnte ich doch nicht mehr mit dir befreundet sein.«
Katie war sprachlos, und ich fühlte so etwas wie einen kleinen Triumph. Sie hatte offensichtlich gedacht, sie käme damit durch, ihre beste Freundin verraten zu haben und dass dann alles wieder in bester Ordnung sein würde. Aber dann sagte sie etwas, das mir den Boden unter den Füßen wegriss.
»Ollie«, fing sie an und blickte mir direkt in die Augen. »Ich habe niemals irgendjemandem etwas erzählt. Ich meine, ich habe es in mein Tagebuch geschrieben – das musste ich, um mit allem klarzukommen –, aber du weißt, es ist abgeschlossen und versteckt. Außerdem, wir sind Freundinnen seit der Grundschule. Wie konntest du denken, ich würde tatsächlich diese persönlichen Dinge ausplaudern?«
»Aber alle tun so, als ob sie Bescheid wüssten«, erwiderte ich und versuchte, meine Stimme wiederzufinden. »Als ob ich eine Leprakranke wäre, die –«
»Ich habe gesagt, du wärst weg, weil du Pfeiffersches Drüsenfieber hättest, du Idiotin. Der einzige Grund, warum dich jetzt alle meiden, ist weil du dich benimmst wie die letzte Langweilerin, die für uns alle viel zu gut ist.« Katie verschränkte ihre dünnen Ärmchen, und ich sah die blauen Venen unter ihrer papiernen Haut. »Also warum zum Teufel sollte ich dir jetzt trauen bei dem über Miranda, wenn du mir anscheinend nie getraut hast?«
Das Summen der Klimaanlage hatte ein Echo
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