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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Bailey
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zufrieden geben. Aber nicht Miranda. Es war vollkommen denkbar, dass sie einfach zu unserer Haustür hereinmarschiert käme und wissen wollte, wo ich war. Nach und nach dämmerte es mir. Ich würde gehen müssen.
    Also quälte ich mich kurz vor zehn Uhr abends aus dem Bett, warf mir etwas zum Anziehen über und kletterte wie gewöhnlich aus dem Fenster. Aber als ich um die Ecke bog, wartete kein Taxi. Nur Miranda. Sie stand allein da, stocksteif und still unter der Laterne.
    »Heute Abend ist mir nicht nach Menschenmengen«, sagte sie. »Lass uns stattdessen ein bisschen laufen.«
    Sie lief die Straße runter, bevor ich überhaupt eine Chance hatte zu antworten. Aber natürlich war es ja auch keine Frage gewesen.
    Wir liefen durch die ruhigen Vorortstraßen, ohne zu sprechen. Hin und wieder bellte mal ein Hund in einem Vorgarten, oder man sah flüchtig das blaue Flackern eines Fernsehgeräts, aber sonst gab es kaum Lebenszeichen. Mirandas Schweigen kam mir gerade recht. Mir war auch nicht nach reden. Ich schlenderte ein paar Schritte hinter ihr her, achtete nicht wirklich auf den Weg, sondern ließ sie führen. Erst als wir die Hauptstraße erreichten, wurde mir klar, wo wir hingingen. In den Wald.
    Mirandas Schweigen wurde sogar noch undurchdringlicher, als wir erst von Bäumen umgeben waren. Ich vergaß fast, dass sie überhaupt da war, und als sie endlich sprach, machte ich einen Satz vorwärts. Sie war genau vor mir stehengeblieben, in der Nähe der Weggabelung. Der breitere Pfad führte durch den Wald und schließlich zurück zur Hauptstraße – hier war ich mit Ralph schon unzählige Male spazieren gegangen. Der andere Weg war enger und dichter bewachsen und führte den Hügel hinauf. Auf diesen deutete Miranda jetzt.
    »Da lang kommen wir zurück zu Oonas Haus«, sagte sie. »Wenn wir so gehen, kann sie uns nicht entdecken.«
    »Aber warum sollten wir dorthin gehen?« Meine Stimme klang in dem Riesenwald so klitzeklein.
    Miranda lächelte. »Ich möchte dir ein Spiel beibringen.«
    Der Weg führte bald steil hinab und verengte sich, sodass wir einzeln hintereinander her gehen mussten – Miranda vorneweg. Seit wann war ich so schlecht in Form? Unsichtbare Wesen schwirrten um meine Ohren, und ich fühlte – obwohl ich eigentlich nichts sehen konnte –, dass uns Nachtaugen beobachteten. Lauf , befahl ich mir, und mein Puls beschleunigte sich. Nichts wie weg hier . Aber ich war mir nicht sicher, ob ich zurückfinden würde. Und auf keinen Fall wollte ich hier alleine im Dunklen festsitzen.
    Endlich kamen wir an einen Zaun aus dicken Eisenpfosten. Oonas Zaun.
    »Klettere da durch«, befahl Miranda.
    »Wo?«
    Sie deutete auf eine Lücke, wo einige Pfosten auseinandergedrückt worden waren. Miranda wartete, als ich vorkroch, dann schlüpfte sie selbst durch. »Wenn du mir folgst, werden die Sicherheitslampen nicht ausgelöst.«
    Oberhalb von uns lag das Haus an den Hügel geschmiegt. Aber wir gingen nicht darauf zu. Stattdessen führte Miranda mich durch Oonas Garten, blieb immer so nahe am Zaun wie möglich, bis wir den Carport erreicht hatten.
    »Wie hat sie nur die Erlaubnis bekommen, dieses Ding zu bauen?«, wunderte ich mich und versuchte, witzig zu klingen. Der Carport war am Ende der sehr steilen Auffahrt errichtet worden und sah aus, als könnte er jede Minute nach vorn kippen. Oonas Auto war darunter geparkt, seine vordere Stoßstange berührte den Zaun. Hinter dem Geländer fiel der Boden steil ab.
    »Sie hat die Erlaubnis nie bekommen«, sagte Miranda.
    Ich wich zurück, und natürlich blieb das nicht unbemerkt. »Du hast doch keine Höhenangst, oder?«, fragte Miranda sofort.
    »Nein«, sagte ich. Nur Tiefen .
    »Oh gut.« Miranda war jetzt viel aufgekratzter. Enthusiastisch und begeistert wie sonst auch. »Dann wirst du dieses Spiel lieben.« Sie ging zum Zaun und zog sich auf einen der Pfosten hoch. Als sie auf dem Dach war, lehnte sie sich über den Rand und streckte mir eine Hand entgegen. »Ich helfe dir hoch.«
    »Nein, danke. Es ist leichter, wenn ich es selbst mache.« Ich fühlte, wie der Pfosten kippelte, als ich begann hochzuklettern. Aber ich wusste, ich konnte jetzt nicht kneifen. Ich krabbelte auf das Dach und blieb ganz still sitzen, als ob das die ganze Konstruktion vor dem Zusammenbrechen schützen könnte. Miranda schien überhaupt nicht beunruhigt. Sie sprang auf und schlenderte bis zum äußersten Ende des Dachs, und ich bemerkte etwas, das ich vom Boden aus nicht gesehen hatte.

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