Du Durchschaust Mich Nicht
darauf, das Spiel zu sehen. Ich habe mich immer wieder mit meinen Spielkarten beschäftigt und nicht alles mitbekommen, aber den Elfmeter natürlich schon.) »Ich fand es seltsam, dass die Bayern-Spieler sich vor dem Elfmeter gedrückt haben und deshalb auch der Torwart zum Schießen ranmusste. Das kenne ich aus dem Basketball nicht, dass sich ein Michael Jordan wegduckt, wenn es um etwas Entscheidendes geht. Etwa bei einer Meisterschaft! Es steht unentschieden, noch sechzehn Sekunden zu spielen, Chicago hat den Ball, UND JEDER , ob die beiden Trainer, die Mannschaften, die Zuschauer in der Halle oder am TV , die Kameramänner, selbst die Hotdogverkäufer, wusste, dass der Ball zu Jordan gehen wird, und der traf dann auch! Und das, obwohl sich zum Teil drei oder vier gegnerische Spieler auf ihn stürzten. Aber jetzt komme ich vom Fußball ab.
Wie wichtig ist es denn beim Fußball, sich nicht vom Gegner durchschauen zu lassen? Und wie erreicht man das?«
Rudi Völler: »Mittlerweile ist der Fußball eher gläsern geworden, aber du hast eben das Beispiel vom Basketball gebracht. Jeder weiß, was passiert: Jordan bekommt den Ball. Jeder weiß, was dann passiert: Er macht den Korb. Und keiner der Gegner kann es verhindern, obwohl sie sogar wussten, was passieren würde. Selbst wenn du alles über die gegnerische Mannschaft, über jeden Spieler weißt, du kannst einen Korb, ein Tor deshalb nicht unbedingt verhindern. Da muss man sich auch als Trainer klar drüber sein, du musst dich immer auf die gegnerischen Spieler und die Mannschaft vorbereiten, auf Stärken und Schwächen, aber trotzdem kannst du es nicht hundertprozentig vermeiden, dass du einen reinkriegst. Sonst würden die Spiele ja auch alle null zu null ausgehen.« (Er lacht.)
»Welche Spielszenen in der Vergangenheit waren für Sie großer Ballzauber?«
Rudi Völler: »Barcelona spielt unbestritten den schönsten und attraktivsten Fußball. O Mann, haben wir bei der letzten Champions League alle gelitten, als Chelsea gegen Barcelona weitergekommen ist. Man will, dass Barcelona weiterkommt. Ihnen zuzuschauen ist großer Genuss.
Aber die Faszination Fußball zeigt auch genau an diesem Beispiel: Chelsea hat zweimal aufs Tor geschossen, die Spieler vom FC Barcelona fünfunddreißigmal. Und Chelsea kommt weiter. Im Spiel gegen die Bayern war das ähnlich. Die holen ›unverdient‹ – also in Anführungsstrichen, denn unverdient gibt es ja nicht, Fußball ist nun mal ein Ergebnissport – den Titel. Obwohl Bayern München und Barcelona besser spielen. Genau aus diesem Grund rennen die Leute alle in die Stadien oder schauen zu Hause zu: weil es spannend ist. Das ist die Faszination. Vieles ist scheinbar vorhersehbar, aber alles ist möglich!
Vielleicht ist das ein Unterschied zu anderen Ballsportarten. Basketball, Handball, Volleyball, auch teilweise zum Eishockey. Sieht man auch am DFB -Pokal, da kann Bayern München gegen einen Fünftligisten verlieren. Das geht in anderen Sportarten nicht so einfach! Eine gute Basketballmannschaft wird nicht gegen eine schlechte Basketballmannschaft verlieren. Das geht nicht! Im Handball auch nicht! Dieser Überraschungseffekt, den es im Fußball gibt, ist in anderen Ballsportarten viel geringer. Da weiß man meist vorher schon mehr oder weniger, in welche Richtung das Spiel läuft.«
»Aber impliziert das nicht, dass die stärkere Mannschaft stark im Angriff und die schwächere schwach im Verteidigen ist? Und somit dann die stärkere gewinnen müsste?«
Rudi Völler: »Schon, aber es gibt taktische Mittel, wie man es der überlegenen Mannschaft so schwermacht, ein Tor zu erzielen, dass das Spiel dann nicht so ausgeht, wie es die Experten voraussagen. Mit taktischen Grundeinstellungen, also wie ein Trainer seine Mannschaft einstellt, um den anderen das Leben so schwer wie möglich zu machen, kannst du dagegen arbeiten. Und dann zählen nur die Tore!«
An diesem Punkt waren wir zwar endlich wieder bei meinem ursprünglichen Thema angekommen, aber auch am Ende des Interviews. Was soll’s: Ich hatte ein Exklusiv-Interview mit einem der beliebtesten Fußballer Deutschlands. Ach was, nicht einem: »Es gibt nur ein’ Rudi Völler!«
Übrigens der gewiefteste und witzigste Meister der Ablenkung im Sport ist für mich ein American-Football-Spieler, den ich in einem Video im Internet gesehen habe. Er trug als Angreifer den Ball in aller Seelenruhe durch die Spielerreihe der gegnerischen Mannschaft, um dann
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