Du findest mich am Ende der Welt
mit Ihnen spazieren, immer am Ufer der Seine entlang, die in
der Sonne glänzt wie ein silbernes Band. Cézanne würde ungeduldig vor uns
herlaufen und wieder zurück, denn bei jeder Brücke würden wir stehenbleiben und
uns küssen ⦠Geben Sie zu, daà das unendlich viel schöner wäre, als die Dinge
zu tun, die wir tun müssen!
Ihre Principessa (bei dem vergeblichen Versuch,
sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren)
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Diese Frau verstand es
wirklich, einen Mann aus der Reserve zu locken. Ich brauchte nicht lange zu
überlegen. Wie von selbst flogen meine Finger über die Tasten, als ich sofort
eine Antwort schrieb, von der ich hoffte, daà sie die vielbeschäftigte
Principessa noch erreichte.
Betreff: Protest
Cara Inconcentrata!
(Meine Italienischkenntnisse sind dürftig, und
ich bin nicht sicher, ob es dieses Wort wirklich gibt, aber es klingt so
schön.) Lassen Sie sich in Ihrer Unkonzentriertheit bitte nicht stören! Immer
schön unkonzentriert bleiben! Spazieren wir wenigstens in Gedanken in der
Sonne. Natürlich gebe ich gerne zu, daà das schöner wäre, als sich auf
irgendwelche Tagesgeschäfte zu konzentrieren. Denn bei solch verlockenden
Briefen versinkt doch alles andere in Bedeutungslosigkeit.
Allerdings habe ich einen Einwand anzumelden:
Sich an jeder Brücke zu küssen, die unsere schöne Seine überspannt â nein, das
gefällt mir nicht, ich protestiere!
Warum geizen Sie so mit Ihren Küssen,
Principessa? Seien Sie verschwenderisch, und hören Sie auf zu zählen! Ich
möchte Sie auf diesem Spaziergang durch den Frühling küssen, wann immer es mir
gefällt. Und daà es Ihnen gefallen wird, daran hege ich keinen Zweifel. Was das
angeht, hat sich noch keine Frau bei mir beschwert, wenn ich das sagen darf,
ohne mir gleich Ihren Unmut zuzuziehen.
Wenn ich doch nur wüÃte, welche schöne Blume ich
da küsse?!
Es scheint Ihnen offensichtlich ein enormes
Vergnügen zu bereiten, mich in dieser Angelegenheit noch ein wenig zappeln zu
lassen. Seien Sie nicht grausam!
Ich weià nicht, was ich verbrochen habe, daà Sie
mich so behandeln, Sie erwähnten ein »unglückseliges Zusammentreffen« in Ihrem
ersten Brief, aber geben Sie mir doch bitte den winzigsten aller Hinweise, und
ich will Sie für den Moment in Ruhe lassen!
Oder haben Sie etwa Angst vor diesem
fürchterlichen Gigolo, für den Sie mich offenbar halten?
Ihr Duc
Ich hätte nicht nur meinen kleinen Finger, sondern meine ganze
Hand darauf verwettet, daà die Principessa diesen letzten Satz nicht
unkommentiert würde stehen lassen.
Und
richtig, wenige Minuten später landete mit einem leisen »Pling« ein neues
Brieflein in meiner Mailbox. Diesmal waren es allerdings wirklich nur wenige
Zeilen. Gespannt öffnete ich die Mail. Es war kaum zu erklären, aber dieser
kleine Schlagabtausch versetzte mich in Hochstimmung.
Betreff: Ein Rätsel
Angst? Sie überschätzen sich, mein lieber Freund!
So fürchterlich sind Sie nun auch nicht. Und Ihren meisterlichen Küssen, über
die sich noch keine Frau jemals beschwert hat, halte ich schon stand. Doch
liegt es nicht im Wesen einer Principessa, eine unter vielen zu sein. Das
sollten Sie beherzigen, wenn Sie etwas von mir wollen. Sie müssen sich schon
mehr einfallen lassen, um mich zu überzeugen.
Da Sie jedoch offenbar keine Ruhe geben wollen
und ich diese für den Moment recht dringend brauche, gebe ich Ihnen ein kleines
Rätsel mit auf den Weg, womit ich Ihnen ein wenig entgegenkommen will, was
Ihren so dringlichen Wunsch nach einem »winzigen Hinweis« angeht:
Sie sehen mich und sehen mich nicht.
Sie kennen mich und kennen mich nicht.
Mehr werde ich Ihnen nicht verraten!
Das Entschlüsseln kryptischer Schriften liegt Ihnen ja sozusagen im Blut, nicht
wahr, Monsieur Champollion?
Die Principessa
PS: Ihr Italienisch mag rudimentär sein, aber das
Wort, das Sie erwähnten, gibt es in der Tat.
Die Principessa war eine kleine Besserwisserin! Sie führte mich
an der Nase herum, sie provozierte mich und machte sich über mich lustig. Ich
meinte fast ein silberhelles Lachen zu hören, als ich die Stelle mit ihrem
ironischen » das liegt Ihnen ja sozusagen im Blut,
nicht wahr, Monsieur Champollion« las.
Und
irgendwie gefiel sie mir. Schon jetzt glaubte ich sie zu kennen, obwohl ich
nicht
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