Du gehörst zu mir
Mrs. Florence saß in ihrem Salon vor dem Kaminfeuer und hatte ein Tablett mit Essen neben sich stehen. »Meine Liebe, Sie kommen später zurück, als ich erwartete. Hat man Sie im Theater so auf Trab gehalten? Sie müssen hungrig sein. Ich werde Ihr Abendessen servieren lassen.«
Dankbar nickend setzte sich Madeline neben sie und erschauerte, als die wohlige Wärme des Feuers durch ihr Wollkleid drang. Auf Wunsch der alten Dame schilderte Madeline ihre Tageseindrücke und starrte dann in das Feuer. »Mrs. Florence, ich würde Sie gern in einer Angelegenheit um Ihren Rat bitten, aber ich befürchte, Sie werden schockiert sein.«
»Mich zu schockieren ist so gut wie unmöglich, mein Kind. Ich bin zu alt als dass mich noch irgendetwas überraschen könnte.« Die ältere Frau beugte sich vor, und die Augen in ihrem faltigen Gesicht strahlten. »Nun, Sie haben meine Neugier geweckt, lassen Sie mich nicht länger warten.«
»Ich dachte, dass Sie mit Ihrer Erfahrung … ich meine, den Erfahrungen aus der Vergangenheit … ich wollte Sie fragen, wie …« Madeline brach ab und musste sich zwingen weiterzusprechen. »Ich möchte einen Mann verführen.«
Die ältere Frau lehnte sich mit ungerührtem Gesichtsausdruck zurück. »Ich habe Sie schockiert«, seufzte Madeline.
»›Erstaunt‹ ist die treffendere Umschreibung, meine Liebe. Eine solche Frage hätte ich von Ihnen nicht erwartet.
Sind Sie sicher, dass Sie wissen, was Sie da vorhaben? Ich möchte nicht, dass Sie einen Fehler begehen, der Ihnen später leidtun wird.«
»Mrs. Florence«, erwiderte Madeline trocken, »in meinem ganzen Leben ist es mir noch nie gelungen, irgendetwas zu tun, was ich wirklich bereut hätte.«
Die Augen der Älteren sprühten plötzlich vor Vergnügen. »Und das wollen Sie ändern?«
»Ja! Anderenfalls besitze ich weder Charakter noch Geist.«
»Da bin ich anderer Meinung, meine Liebe. Sie scheinen über weitaus mehr Charakter und Geist zu verfügen als der Durchschnitt. Wenn Sie jedoch entschlossen sind, Ihr Vorhaben umzusetzen, werde ich. Sie selbstverständlich mit dem größten Vergnügen beraten. Ich weiß eine ganze Menge über die Männer – zumindest war es früher so.
Allerdings wage ich zu behaupten, dass sie sich in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten nicht sonderlich geändert haben. Sagen Sie, handelt es sich um einen bestimmten Mann, den Sie verführen wollen?«
»Um ehrlich zu sein handelt es sich um Mr. Scott.«
»Ah.« Für einen langen Augenblick musterte Mrs. Florence ihr Gegenüber mit durchdringendem, aber auch entrücktem Blick. Es war als erinnere sie sich an eine längst vergangene Episode ihres Lebens, die sie sehr genossen hatte. »Das kann ich Ihnen nicht verdenken«, erklärte sie schließlich. »Wenn ich ein so hübsches junges Mädchen wäre wie Sie, würde ich ihn ebenfalls verführen wollen.«
»Wirklich?« fragte Madeline überrascht. »Aber gewiss doch. Ich habe den Eindruck, dass Mr. Scott zu den wenigen Männern in England gehört, bei denen sich das Verführen lohnt. Ich hätte kein Interesse an den blasierten, selbstherrlichen Individuen, die man heutzutage für große Liebhaber hält. Leider hatte ich nie die Gelegenheit Mr. Scott persönlich kennenzulernen, aber ich habe ihn auf der Bühne erlebt. Das erste Mal vor fünf Jahren. Er spielte den Jago in Othello … und es war die gelungenste Darbietung, die ich jemals gesehen habe. Geradlinig, überzeugend, das personifizierte Böse. Als Schauspieler hat er unendliche Bewunderung – verdient. Als Mann wirkt er auf mich recht gefährlich.«
»Gefährlich?« wiederholte Madeline unbehaglich.
»Ja, für das Herz einer Frau. Ungefährliche Männer heiratet man. Mit gefährlichen Männern vergnügt man sich. Sie müssen sich darüber im klaren sein, dass Sie nur das von ihnen wollen.«
Madeline beugte sich vor. »Mrs. Florence, Sie erzählen doch niemandem von meinem Plan, oder?«
»Natürlich nicht. Das ist eine rein private Angelegenheit. Außerdem gibt es keine Garantie für Ihren Erfolg. Soweit ich informiert bin, hat Logan Scott für Mädchen wie Sie nicht viel übrig – doch das weiß ich nur gerüchteweise und von Julia. Es gibt Männer, die lediglich den Reizen sehr erfahrener Frauen verfallen, und Sie …« Sie brach ab und musterte Madeline kritisch. »Meine Menschenkenntnis sagt mir, dass Ihr Erfahrungsschatz relativ begrenzt ist.«
»Ich habe überhaupt keine Erfahrung«, erwiderte Madeline
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