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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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unter einer wahren Hetzpeitsche und in atemloser Hast . Seine Berufsprobleme sprechen sich herum. Merckel alias Immermann, Rütli-Kollege, Kammergerichtsrat aus Berlin, Schwager von Direktor Goßler, meint, daß der inzwischen ins Amt getretene Storm juristisch doch zu viel zu wünschen übrig ließ .
    In einer Beurteilung beschreibt Goßler im August 1854 Storms berufliche Stärken und Schwächen. So hat er unleugbar mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen , führt der Direktor aus und meint Storms mangelnde Erfahrung auf dem weiten Feld preußischer Justiz. Auch fällt Storm die Dekretur [richterliche Verfügung] und die Erfassung und Benutzung des Geschäftsmechanismus entschieden schwer und es fehlt ihm an Selbstvertrauen und dem frischem Muth, welche das Gelingen auch im geistigen Gebiete oft so wesentlich fördern . Unterm Strich spricht Goßler seinem Assessor die Befähigung zum Einzelrichter ab, er benötige noch des kollegialischen Anhalts […] und er wird sich auch künftig nicht sowohl zur Anstellung als Einzelrichter, sondern mehr für ein größeres Kollegium empfehlen lassen. Zu seinen Stärken zählt der Direktor Storms gute Allgemeinbildung, seine leichte Auffassungsgabe und sein besonderes Talent im mündlichen und schriftlichen Vortrag. Da scheint im Urteil mehr der Dichter als Allgemeinplatz denn der Richter als Spezialfall durch, und eine diesbezügliche Stärke streicht der Direktor besonders heraus: Er weiß mit dem gemeinen Mann sich gut zu verständigen . Hier verweist Goßler auf den Dichter, der wie mit absolutem Blick den Menschen aufs Maul schaut und sie in seinen Novellen als glaubwürdige Gestalten zeichnet. Dieses Geschick wird Storm bei seiner späteren richterlichen Tätigkeit besonders hilfreich sein.
    Auch wenn Storm diese Beurteilung nicht zur Kenntnis gelangt sein
sollte, so bekommt er doch die praktischen Folgen der Worte seines Direktors zu spüren. Das Stimmrecht, Stolz jedes unabhängigen Richters, bleibt ihm verwehrt. Er muss zur Kenntnis nehmen, wie seine Bewerbungen für ein Richteramt an anderen preußischen Gerichten von seinen Vorgesetzten abschlägig beschieden werden; andere, besser geeignete Anwärter werden ihm vorgezogen. Gezeichnet ist er darüber hinaus mit seiner hypochondrischen Reaktion auf jegliche Art von Misserfolg und Abweisung.

Im Sonnenschein
    Der Park von Sanssouci liegt fast vor der Haustür. Von der ersten Wohnung in der Brandenburger Straße 70 waren es fünf Minuten zu Fuß, von der ab 1. Juli 1854 gemieteten in der Waisenstraße 68 (heute: Dortustraße) sind ein paar Minuten mehr zu laufen; aber der Weg zum Arbeitsplatz, zum Potsdamer Kreisgericht in der Lindenstraße, verkürzt sich. Mit der dritten und letzten Potsdamer Wohnung in der Kreuzstraße 15 (heute: Benkertstraße) entfernt sich die Stormfamilie weiter ins östliche Stadtzentrum; der »Herr Ackcessor« kann immer noch bequem und schnell Gericht und Park im Fußmarsch erreichen.
    Im Park geht er oft allein spazieren. Gestern abend verlor ich mich allein in die einsamsten, feuchtesten und grünsten Partien des Parks von Sanssouci; die Eichhörnchen saßen am Wege, richteten sich auf und guckten mich an, die grauen Baumspechte, deren hier sehr viele sind, waren an den Baumrinden geschäftig, in der Ferne hörte man die Nachtigall und den Vogel Bülow [Pirol/Goldamsel] .
    Gegen Ende des Jahres schickt er seinen Eltern ein Buch; die kleine Novelle »Im Sonnenschein«. Ähnlich wie »Immensee« ist sie ein Tableau; hier stehen Vergangenheit und Gegenwart einander gegenüber, sechzig Jahre voneinander getrennt. Bilder von Familienangehörigen hängen an der Wand: Urgroßeltern, Großvater und Großvaters Schwester. Storm-Stoff aus der Familie Woldsen, von Mutter Lucie irgendwann erzählt. Auf seinen Spaziergängen in Sanssouci kann er den Stoff in seine Ordnung bringen, das heißt ihn übertragen, ihn aus dem Leben in die Literatur retten und so für immer aufbewahren. Die Rede ist da von »Fränzchen«, die sich in den Reiteroffizier Constantin verliebt, und der sich in sie. Aus der Liebe wird nichts: Du weißt, wir können die Soldaten eigentlich nicht leiden , sagt Fränzchen. Sie kann Constantin eigentlich schon leiden, ja sie liebt ihn, jedoch ihr Vater war immer sehr gegen das Militär . So muss auch Fränzchen gegen das Militär sein, ihr ist kein Liebes-, schon gar nicht ein Eheglück vergönnt; sie stirbt früh.
    Storm nimmt nicht das Militär und das Militärische aufs Korn –

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