Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Wohnung für sich und Hans. Er kommt mit dem klaren Auftrag, Hans zu beaufsichtigen und zum Studium anzutreiben. Von beiden Söhnen in Kiel trifft prompte jeden Sonnabend Abend ein Bericht ein , schreibt Storm an Karl, der inzwischen seinen Studienort von Leipzig nach Stuttgart verlegt hat. Storm ist jetzt mit seinem Zweitältesten hochzufrieden, denn Ernst ochst tüchtig, er will mit dem Kram fertig werden, schreibt er an Karl. Dank Bruderhilfe sieht er auch bei Hans einen Silberstreifen am Horizont. Und der liefert den Grund zur Hoffnung auf den Doktortitel, der dann in Husum Aufsehen erregen und Storm für das Leid entschädigen würde.
In Stuttgart tritt Karl in Verbindung mit Georg Scherer, einem Bekannten und Kollegen seines Vaters. Scherer ist Professor für Literatur- und Kunstgeschichte am Polytechnikum, er hat, wie Storm, eine Sammlung mit Gedichten herausgegeben, »Deutscher Dichterwald«, tritt auch selbst als Lyriker hervor. Noch bevor Karl nach Stuttgart umsiedelt, schreibt Storm an ihn und bittet, seinem Sohn den Weg in die Stuttgarter Gesellschaft zu ebnen. Karl soll sich bei gebildeten Leuten selber weiterbilden und die maßgebliche Etikette beherzigen und beherrschen lernen und so ein wertvolles Glied der gehobenen Gesellschaftsschicht werden. Mit einem festen Korsett von Anstand und gutem Ton, das erhofft Storm wohl auch, könnte sich sein Sohn am besten vor Liederlichkeit und Laster bewahren.
Wer damals in vornehme Kreise eingeladen war, der erschien mit glänzenden Glaceehandschuhen an den Händen. Damals? Noch hundert Jahre später trugen Fahnenjunker und Fähnriche der Offiziersschule der Luftwaffe in Neubiberg weiche, weiße Lederhandschuhe, wenn sie in München, in der Tanzschule des streng-konservativen Peps Valenci mit ihren Damen tanzten. Nicht nur der alte Herr verlangte das, auch diese kleine Benimmschrift der Offiziersschule »Stil und Form« schrieb diese Handschuhe vor.
Storm selber legt keinen Wert auf solche Äußerlichkeiten, liebt Schal und Schlapphut und lebt seinen Kindern das Saloppe vor. Hatte er nicht in seinem zerknitterten Anzug, mit Reisehut und viel zu langem Wollschal, Tunnel-Freund Fontane in arge Verlegenheit gebracht, als die beiden das Café Kranzler besuchten?
Hier in Husum aber zieht Storm ein bisher unbekanntes Register. Er, der Feind des Militärs, bringt nun soldatischen Druck in die Etiketten-Angelegenheit seines Sohnes: Und dann – dieß ist ein scharfer Befehl – sollst Du Dir (ich lege Dir einen Thaler bei) ein oder wo möglich zwei Paar Glacée Handschuhe (mittelfarben) kaufen, u. damit Visiten in den Häusern, in denen Du durch Scherer eingeführt wurdest, machen. Worte aus Stroms tragischer Verfassung: festhalten um jeden Preis und solange die Kräfte reichen. Um die verheerend dramatische Lage, die ihn bedrängt, zu meistern, ist ihm das kleine Einmaleins der Soldatenwelt seiner Weisheit letzter Schluss, und er unterstreicht das »Glacée« der Handschuhe dreimal.
Karl fühlt sich damit schlecht behandelt und wagt eine unbeholfene Beschwerde. Storm erteilt Bescheid mit seiner auftrumpfenden Art und kartet noch einmal nach mit einer Bemerkung am linken Briefrand: »Grobe« Briefe, mein liebes Kind, schrieb ich Dir nie; wohl aber strenge, was derzeit, wie Du nicht verkennen wirst, nothwendig war, um Dich wieder an ein geordnetes Leben zu gewöhnen; meine Angst hat sie denn auch mitunter heftig gemacht .
Weihnachten 1873 wähnt Storm seinen Hans mitten im Examen; Ernst dicht davor. Karls Befinden in Stuttgart ist aus Storm-Sicht gut; denn er hat im Hause des liebenswürdigen Professor Scherer eine wahre Heimstätte gefunden .
Das neue Jahr 1874 fängt aber nicht so gut an, wie Storm das in seinem Brief an Pietsch glauben machen will. Bronchialkatarrh ist das Stichwort, mit dem das ins Haus gefallene Unglück seinen Lauf nimmt. Damit hat Ernst seinem Vater nur ein Krankheitszeichen beschrieben, und aus der Vermutung wird Gewissheit: Hans hat sich mit Syphilis angesteckt. Sofort schreibt Storm an Karl, dass Hans schon seit Anfang Januar an einer Krankheit leide, die er sich durch seinen Leichtsinn zugezogen habe, die Sache ist sehr schlimm, wohl für sein ganzes künftiges Leben, Prof. Esmarch ist zugezogen, und schon fast 3 Wochen liegt er in einer Krankenanstalt, wo er wohl noch 6 W. liegen kann. Sein Examen ist wieder in weite Ferne geschoben; dabei kostet es eine Menge Geld (…) Wir wollen das ruhen lassen; aber verbrenne diesen Brief, damit er
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