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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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gefallen, vielleicht hofft er auf eine günstige soldatische Beeinflussung. Hans wurde tüchtig gedrillt, jammerte kläglich . Er wird dann aber vorzeitig wegen seines Asthmas entlassen, bricht sich nach der Entlassung das Bein und lag lange damit .
    Verzweifelt fährt Storm im Sommer 1876 in der Gluthitze des August für drei Tage nach Würzburg, um seinem Ältesten zuzusprechen und beizustehen. Ich kneipte einen Abend mit den Leuten seiner Verbindung und war mit seinem Umgange recht zufrieden, hatte er im September noch an Pietsch geschrieben. Aber danach kommen von Hans so verrückte Briefe, schreibt er an Karl. Er schwänzt praktische Übungen, er verlangt mehr Geld. Die Hoffnung, dass er bis Weihnachten sein Examen schaffen würde, bleibt unerfüllt. Er hat sich nicht zur Prüfung angemeldet. Hans ist 29 Jahre alt und hat in 11 Jahren Studium 22 Semester auf dem Buckel.
    Da entschließt sich Storm zu einer weiteren Reise nach Würzburg, um den Ältesten endlich durchs Examen zu schütteln. Ob Hans auf den Besuch seines Vaters vorbereitet ist? Der reist am 6. Februar 1877 mit wenig Hoffnung los.
    In Würzburg kümmert er sich nicht nur um Hans, er nutzt die Zeit auch, um Stadt und Leute kennen zu lernen; er trifft Professoren der Universität, den Zoologen Karl Gottfried Semper (1832–1893), den Mathematiker Friedrich Prym (1841–1915) und den Juristen Joseph von Held (1815–1890). Er wohnt in der Ludwigstraße 14, 2. Stock bei Lina Strecker, der Witwe des Chemikers Adolf Strecker (1822–1871) und deren Tochter Wally, die sich
mit Erich Schmidt (1853–1913) verlobt hat. Der Vierundzwanzigjährige wird später zu den klügsten und einflussreichsten Köpfen deutscher Philologie
im 19. Jahrhundert zählen. An ihm, der so alt ist wie Storms dritter Sohn Karl, findet Storm sofort Gefallen. Der junge Mann packt die Gelegenheit beim Schopfe: Hier hat er einen berühmten Dichter, und Storm genießt die Verehrung. Alt und Jung beginnen eine Freundschaft, die auch wie eine Verbindung zwischen Vater und Sohn ist. Schmidt ist nun der dritte im Bunde der Ersatzsöhne nach Ferdinand Tönnies und Hans Speckter. Ein bedeutender, umfangreicher Briefwechsel entsteht; er dauert bis kurz vor Storms Tod.
    Schmidt beobachtet ihn und notiert bald nach der ersten Begegnung aufschlussreich über seine Gestalt, über sein Sprechen und sein Wesen: Mittelgroß, etwas gebeugt, 59 Jh., im Anfang etwas ungewandt. Volles graues Haar
u. Bart. Schöne glänzende blaue Augen. Sanfte Stimme, langsame Sprache. Scharfe Schlesw[igsche] s (so sanft). Scharf wird das anlautende »S« im Plattdeutschen und Dänischen gesprochen, es ist auch ins Hochdeutsche gedrungen und besonders im Norden Schleswig-Holsteins verbreitet. Schmidt beschreibt Storm auch als Etw. umständlich u. peinlich. Herzlich warm. Der Dichter liest »Ein stiller Musikant« und »Beim Vetter Christian«. Besonders stolz auf Vetter Christian sei Storm gewesen, berichtet Schmidt, und beim Vorlesen dieser Geschichte kann er bei manchen Stellen der alten Caroline vor Lachen nicht weiter . Storm erzählt von seiner ewigjungen Leidenschaft für Do , und mit viel Wehmut von der Gestorbenen. Er trägt eigene Gedichte aus dem Gedächtnis vor und erzählt mir, wie er als Student spät abends ein schwarzes jüdisches Harfenmädchen geküßt, die später verdorben, gestorben . Dieses Mädchen wird ihm im Gedächtnis gewesen sein, als er vor vielen Jahren sein »Lied des Harfenmädchens« schrieb. Als Schmidts Verlobte Wally nun den Dichter über seine Liebeslyrik befragt, antwortet er: Liebes Kind, das ist nichts für Sie. Wally sagt später zum Verlobten in ihrem Dialekt, den dieser so aufzeichnet: Mit so’me Dichter möchte ich nit verheirat sein .
    Mit so einem Dichter als Vater hätten wohl auch andere Söhne Probleme. Der kranke, weit aus der Erziehungsspur verrückte Hans geht noch mühsam mit einem kaum verheilten Beinbruch und trinkt, wenn er mit Storm zusammensitzt; der reagiert abweisend und grimmig. An den Freund Wilhelm Petersen gehen aus Würzburg diese Zeilen nach Schleswig: Abends ist er todmüde u. doch fieberhaft aufgeregt u. da er das Gefühl der Schlaflosigkeit hat, so sitzt er stundenlang bei mir, trinkt sein Bier und während wir vorher uns recht angenehm unterhielten, so muß ich jetzt stundenlangen versimpelten u. katzenjämmerlichen Unsinn anhören, und er fügt hinzu, wie um einen Rest Hoffnung zu halten: Nun, wenn’s nur hilft .
    Die Prüfung zieht sich hin über

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