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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Mathilde verewigt er hier; sie erscheint als »Mechthild«, eine junge Frau ganz nach Storms Geschmack, sie wiegte wie im Vollbehagen ihrer Jugendkraft den schlanken Körper auf und ab. Er hält sie in gehörigem Abstand zu den Damen und zu den Herren Offizieren ihrer Generation, fern von deren Smalltalk, jener wohlgezirkelten Unterhaltung, die meistens harmlos genug, mitunter aber auch desto übler sind, je mehr die jungen Köpfe nur die gedankenlosen Träger der Armseligkeiten zu sein pflegen, die darin zu Tage kommen.
    Erzählt wird jedoch die Lebensgeschichte einer anderen, der stolzen, aber nicht gänzlich seelenlosen Botilla Jansen. Durch das Erbe reich geworden, sitzt sie wie Frau Krösus auf ihren Gold- und Silbertalern im verkommenen Nachbarhaus links. Dort hortet und bewacht sie ihre Schätze; ganz so wie der ebenso verrückte und schwerreiche Dagobert Duck in Entenhausen. Während Dagobert Duck weder altert noch stirbt, verlässt Botilla im hohen Alter von achtzig die Welt. Es ist Alles doch umsonst gewesen – dieser entscheidende Satz für Storms Leben und Werk aus »Aquis submersus« hat auch in dieser Novelle seine Bedeutung. Botilla lässt am Ende ihres Lebens, hervorgerufen durch den Beistand und Zuspruch des Erzählers, eine menschliche und anständige Saite ihres Charakters erklingen. Zu spät: Der Wunsch, ihr Testament in diesem Sinne abzufassen, geht nicht mehr in Erfüllung, sie stirbt vorher.
    Diese Geschichte von etwa dreißig Seiten steht zu Unrecht in der Ecke bei den verstaubten Büchern und wurde auch zu seinen Lebzeiten kaum beachtet. Sie ist in Wahrheit ein Edelstein und glänzt mit dem Besten, was der Dichter zu bieten hat, mit dem bei ihm seltenen Humor, mit Gespenstern und Spuk – E.T.A. Hoffmann lässt wieder einmal grüßen –, mit dem soliden Wissen von Welt und Gesellschaft, Handwerk und Beruf. Und als kleine Zugabe führt uns Storm das einsilbige »geil«, das heutzutage in aller Munde ist, in seiner ursprünglichen Bedeutung vor: In geilster Üppigkeit sproßte überall der Hundsschierling mit seinem dunklen Kraute . Bei aller Spökenkiekerei ist diese Prosa auch ein Stück aus der wirklichen Welt, ein kräftiges Beweisstück für den poetischen Realismus des Dichters. Das »Nachbarhaus links« steht zwar als Ruine mit einem ruinierten Innenleben da, aber es hat nichts von seinem Reiz verloren.
    Weihnachtsstimmung im Hause Storm, Dezember 1876: Draußen heult der Oststurm und stöbert der Schnee. Friede auf Erden? Gerade ist ein Krieg um die spanische Thronfolge zu Ende gegangen. Der Dichter sitzt in seinem Poetenstübchen. Er ist mager geworden und trauert den Zeiten nach, als er noch ein wenig mehr Fleisch auf den Rippen hatte, denn ich fühle es mit völliger Bestimmtheit, daß mir die Poesie im Fette gesteckt hat, teilt er Paul Heyse mit. Hier oben aber in meinem behaglichen Zimmer mit der geschnitzten Decke steht er unter dem Eindruck der Lektüre eines Schauspiels von Friedrich de la Motte-Fouqué. Jetzt hat der Schnee sein wildes Spiel vollbracht, sagt der Kaiser da am Fenster stehend. Alle Stuben stecken voll Geheimniß, schreibt Storm an Heyse. (…) Und so sähe es denn wohl friedlich und weihnachtlich um mich aus, aber ein Gespenst steht dahinter; die Angst um meinen Aeltesten, den kleinen hübschen guten Jungen, dessen Du Dich vielleicht noch entsinnst; und grade in den Weihnachtstagen wird es sich wohl entscheiden, ob ich unter meinen Kindern ein gescheitertes Leben ein für allemal zu verzeichnen haben werde.
    Es ist Alles doch umsonst gewesen , mag ihm wieder einmal durch den Kopf gehen. »Aquis submersus«, seine bislang längste Novelle, die Storms tiefste Ängste widerspiegelt , hat er in diesem Jahr vollendet, im Oktober ist sie für ein Honorar von 1800 Mark in der »Deutschen Rundschau« erschienen. Alles umsonst , hat er auch an Ernst geschrieben. Dagegen steht sein Überlebenswille.

Drei Brüder
    Überlebensgedanken packen auch Karl, den dritten Sohn, als er im Februar 1871 ein paar Meilen nordwestlich von Flensburg in einem Schneesturm mit dem Zug stecken bleibt. Karl ist eine fröhlich-freundliche Natur und nicht ohne Witz. Ich bin ja einmal das Gegenteil von schneidig, hat Ferdinand Tönnies, sein Schulkamerad, ihn sagen hören. Während Karl mit vierzehn immer noch in der Quinta saß und Storm ihn von der Schule nehmen musste, war Tönnies einer der besten Schüler des Husumer Gymnasiums überhaupt und schnitt mit einem überragenden Abitur ab. Karl

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