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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Kuchen, den Frau Ingwersen gebacken hat. Von Rödemis aus führt der Weg über den Lagedeich nach Schwabstedt, dem idyllischen Flecken am Flüsschen Treene. Da wachsen die besten gelben Pflaumen weit und breit. Da steht das Wirtshaus unmittelbar am Treene-Ufer, der Wirt heißt Peter Behrens. Bei ihm kehrt man ein, bei ihm mietet man sich ein Ruderboot und rudert auf der Treene. Oder die jungen Leute wandern zu »Trina von Hockensbüll« in den »Hockensbüller Krug«. Der steht heute noch immer so da wie damals. Die alte Dorfstraße windet sich wie damals um das Grundstück herum. Die Restaurant-Karte berichtet aus der über dreihundertjährigen Geschichte des Hauses und weist hin auf Theodor Storm und Constanze. Das Original Trina, die Wirtin, schenkte den jungen Leuten Tee und Punsch aus. Es lohnt sich, den Krug an einem Winterabend zu besuchen, sich Teepunsch servieren zu lassen und dieser alten Zeiten zu gedenken.
    Herzlichkeit, Herzensgüte und Liebenswürdigkeit sollen Constanzes herausragende Charaktereigenschaften gewesen sein. Storm selber hat sie so beschrieben, Freunde haben sie so geschildert. Mit ihren hellen Augen, aus denen der Frohsinn leuchtete, und mit ihrem liebevollen, kindlichen Herzen gewann sie alle, die ihr nahetraten, im Sturm , schreibt Gertrud über das Wesen ihrer Mutter Constanze, und sie hat damit zweifellos den Kern getroffen. Ob die folgende Einschätzung Gertruds stehen bleiben kann? Nach dem Urteil noch Lebender, die sie einst gekannt, war sie eine herrliche Frauengestalt von großer Schönheit. Das ist sicher ein wenig zu stark gedeutet. Storm selber sagt das Gegenteil und spricht in einem Brief an seine Mutter von der Einfachheit und Reinheit ihres Wesens , an Constanze gerichtet von Deiner süßen Kindlichkeit, an den Komponisten und Dirigenten Carl Reinecke von der Großartigen Simplizität ihres Wesens . Der spätere Freund und Briefpartner Ludwig Pietsch schildert sie nach dem ersten unverhofften Treffen in Potsdam als stolz und hochgewachsen mit zugleich groß und fein geschnittenen Gesichtsformen und schönen, ernsten, grauen Augen unter breiten Lidern .
    1844 zeichnete der Maler Friedrich Feddersen (1823–1846), der als Bassist in Storms Singverein mitwirkte, Constanze im linken Profil. Betrachtet man die sechs Jahre später »abgenommene« Daguerreotypie ihres rechten Profils, dann wird deutlich, wie genau Feddersen das Constanze-Profil mit dem Zeichenstift festhalten konnte. Ihre Stirn ist frei und hoch, sie führt über einen sanften Bogen zur Nasenwurzel. Die Nase ist groß und schmal. Die Oberlippe ragt einen Deut über die Unterlippe. Die Lippen sind dünn, der Mundwinkel ist spitz, und unübersehbar springt ein starkes Kinn hervor. Die Frisur ist auf beiden Bildern dieselbe: Vom Mittelscheitel fällt das Haar links und rechts bis über die Ohren. Hinter dem halb verdeckten Ohr steckt eine Haarnadel mit großer Perle. Einen langen, dünn und dünner werdenden Zopf hat Constanze am Hinterkopf in eine Schnecke gelegt und im gerafften Haar befestigt.
    Auch ein Ölgemälde, das der Maler Hans Nikolai Sunde (1823–1864) dreizehn Jahre später anlässlich eines Besuchs bei den Storms 1857 in Heiligenstadt von Constanzes rechtem Profil anfertigte, bestätigt die Zeichenkunst des jungen Feddersen. Constanze erscheint hier mit der Frisur von 1844, ihrem Gesicht ist alles Mädchenhafte entwichen. Die Zweiunddreißigjährige wirft einen leeren Blick ins Ungewisse. Nichts von alledem in der Zeichnung von 1844. Wohltuendes Selbstbewusstsein strahlt hinaus. Der klar nach oben gehobene linke Mundwinkel zeugt von Zuversicht und Lebensfreude.
    Sieht der Vetter seine Kusine auch so, als sie den Sommer 1843 in Husum bei Onkel und Tante verbringt? Und wie sieht Constanze ihren Vetter Theodor? Sie wird dessen Starallüren und Geltungssucht, seine Zicken und Zacken nicht vorbehaltlos registriert haben und auf der Hut gewesen sein. Sie wird ihn aber auch heimlich als Dichter und Denker bewundert haben und hat gewiss empfunden, dass er ihr an Bildung weit überlegen war.
    »Gefunkt« hat es erst mal nicht zwischen den beiden. Constanze ist die freundliche, gut gelaunte, stets zum Miterleben bereite Kusine. Das ist schon zu Kinderzeiten so gewesen, als Theodor und Constanze im Garten der Hohlen Gasse auf Bäume und in den alten Lagerhallen über die Dachböden kletterten.
    Der Winter 1843/44 rückt heran, und Constanze ist immer noch in Husum. In einem Brief an ihre Mutter erzählt sie von

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