Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Eis und Schnee und von Pferdeschlittenfahrten. In neun Schlitten, in jedem ein Pärchen, fuhren sie nach Hadstedt, um Freund Ohlhues […] zu besuchen. Sitzen Vetter und Kusine etwa in einem Schlitten, rücken einander auf den Winterpelz, um sich gegenseitig zu wärmen? Nimmt er sie hoch, hält er sie zum Narren?
Auch Weihnachten 1843 verbringt Constanze in Husum. Warum fährt sie nicht zurück zum wichtigsten aller Familienfeste, nach Hause zu Eltern und Geschwistern? Als der Tannenbaum am Weihnachtsabend in der Hohlen Gasse geschmückt wird, überfällt Constanze Heimweh. Theodor sieht ihre Tränen und fühlt mit, und Constanze wird dankbar empfunden haben, dass der Vetter sie nicht auf, sondern in den Arm nimmt. Er scheint sie getröstet zu haben: den Abend kamst du mir schon ganz süß vor , schreibt Constanze an Theodor aus der Erinnerung eineinhalb Jahre später. Und sie registriert, wie das erste Mal eine Art Liebe gegen Dich in mein Herz kam . An ihre Mutter schreibt Constanze nach Segeberg: übrigens fühlte ich mich am Weihnachtsabend doch sehr verlassen und ich empfand zum ersten Mal im Leben was Heimweh ist .
Theodor empfindet Zuneigung und Sympathie: Ihm selber ist das Heimweh vertraut, lebenslang. Er muss die Schwingungen von Constanzes Heimweh als die eigenen empfunden haben. So mag in ihm am Weihnachtsabend 1843 eine Saite angeschlagen worden sein, durch die er Constanze auf bisher unbekannte Art wahrnahm.
Zwischen Weihnachten und Neujahr feiert man bei Freunden eine Maskerade. Wir lieferten aus unserm Hause 4 Herrn, nämlich Emil, Otto, Johannes u. Theodor, schreibt Constanze, übrigens ich amüsierte mich ziemlich gut, doch nicht so gut wie in Schleswig auf der Soiree, denn es waren nicht so nette Herrn hier wie dort . In Schleswig war Constanze bei Esmarch-Verwandtschaft gewesen. Nicht nett in Husum war vor allem Theodor: ich weiß, daß es mich unendlich schmerzte, daß du auf der Maskerade nicht ein einziges Mal mit mir tanztest, Dich so gar nicht um mich bekümmertest, schreibt die Gekränkte ihm.
Aber schon im Januar 1844 ist alles klar. Aus einem Verlobungsversprechen wird eine öffentliche Angelegenheit. Unter Zeugen trägt Theodor Constanze die Ehe an, und Constanze sagt Ja. Sie bekräftigt das Ja schon wieder öffentlich am 14. Januar anlässlich des vierundzwanzigsten Geburtstags von Schwester Helene. Ein Hausball wird in der Hohlen Gasse gegeben, und wohl zur vorgerückten Stunde, zwischen Punsch und Tanz, führt Constanze das liebenswert Spontane ihres Wesens vor: Du setztest dich […] auf meinen Schooß und in meinen Arm, erinnert sich Theodor. Sie bleibt dort lange und zum Erstaunen der Gäste sitzen, wo mir mit Deiner Hand so unbewußt mein größtes Glück in den Schooß fiel, schreibt er Constanze etwas später.
Storm findet in seiner Sympathie und Zuneigung für Constanze erst einmal keine Liebe; denn Liebe ist das noch nicht, aber: Constanze – eine Frau zum Heiraten! Storm hat in Husum beruflich und gesellschaftlich Fuß gefasst. Eine Ehefrau, und später eine Familie, stärkt das gesellschaftliche Fundament und gibt dem beruflichen Status Natürlichkeit und Normalität. Storm mag Constanze leiden, das ist sicher. Ihm gefällt ihr herzliches, spontanes Wesen, und er erlebt wieder und wieder, wie diese achtzehnjährige junge Frau Familie, Freunde und Fremde bezaubert.
Bertha von Buchan? Spukt sie noch in Storms Seele herum? Ist die Verletzung verheilt? Wie soll man das wissen; aber eine Narbe ist geblieben. Ist die Zeit nun reif für ein neues Lebensprojekt?
Mutter und Vater Storm sind überrascht und verblüfft, als ihnen die Verlobung von Theodor und Constanze bekannt wird. Fassungslos sind sie aber nicht, denn Johann Casimir wirft so schnell nichts um, und er schreibt, ohne dass Frau und Kinder oder sonst jemand im Hause davon wissen, gleich am nächsten Tag an Freund Esmarch, so erzählt Gertrud Storm die Geschichte: Er, Vater Storm, sei eigentlich gegen Familienheiraten, also gegen eine Ehe zwischen Vetter und Kusine. Er äußert Bedenken über den Charakter seines Sohnes, der launisch und reizbar sei. Auch Constanze teilt er seine Bedenken mit. Andrerseits aber beruft der Vater auch die guten Seiten des Sohnes: Er ist sehr gescheit und arbeitstüchtig, und wenn er mit Anstrengung daran geht, kann ihm, wenn ich noch einige Jahre lebe, die gesicherte Existenz nicht fehlen. Theodor hat alles, was dazu gehört, ein Familienglück zu gründen, und ich habe keine Zweifel,
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