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Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)

Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)

Titel: Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Tannen
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kann mit dem Bedürfnis, Geheimnisse zu erzählen, in Konflikt geraten, weil Geheimnisse Schwächen offenbaren. Bei einem Beispiel, das ich an anderer Stelle anführte, war dem Exfreund eines Mädchens das Herz gebrochen worden, und er wollte darüber reden  – er besuchte sie, obwohl er schon vor langer Zeit mit ihr Schluss gemacht hatte. Warum mochte er nicht mit seinen Freunden über Probleme sprechen? Vielleicht aus demselben Grund, aus dem viele der von Catherine Kohler Riessman befragten Männer mit niemandem über ihre Scheidung sprachen. Einer der Männer erzählte ihr: »Ich glaube, man will um jeden Preis vermeiden, dass irgendjemand weiß, dass man Probleme hat … Man versucht immer, sie für sich zu behalten.« Diese und viele andere Männer sind sich des ungleichen Machtverhältnisses, das aus dem Erzählen von Geheimnissen resultieren kann, genauestens bewusst. Zum einen kann man durch die Offenbarung von Schwächen zum Unterlegenen werden. Zum anderen gibt man Informationen preis, die gegen einen verwendet werden könnten. Ref 43
    Auch Frauen sind sich dieser Gefahr bewusst. Die Psychologin Robinette Kennedy, die Frauenfreundschaften in einem Dorf auf Kreta untersuchte, fand heraus, dass Frauen sich der Gefahr bösartigen Klatsches, wie er sich aus dem Austausch von Geheimnissen ergeben kann, genau bewusst sind. Sie bat zwölf Schulmädchen aufzuschreiben, welche Eigenschaften sie an einer Freundin schätzten, und jede Einzelne von ihnen schrieb: Verschwiegenheit. Kennedy stellte fest, dass einige Frauen aus diesem Grund tatsächlich Freundschaften vermieden, aber sie litten darunter, keine Vertraute zu haben. In einer Gesellschaft, in der Männer und Frauen in getrennten Sphären leben und klar definierte Geschlechtsrollen übernehmen müssen, bedeutet die Freundschaft mit einer anderen Frau, dass es zumindest eine Beziehung gibt, in der eine Frau völlig sie selbst sein darf, verstanden und akzeptiert wird. Wenn sie niemanden hat, dem sie ihre wahren Gefühle anvertrauen kann, fühlt sie sich schmerzlich isoliert.
    Die Frauen und Mädchen in dem griechischen Dorf und die amerikanischen Schulmädchen, die Eder und Eckert untersuchten, standen vor demselben Dilemma: Sie brauchten Freundinnen, mit denen sie reden konnten, aber sie wussten, dass das Gespräch mit Freundinnen riskant ist. Mädchen und Frauen sind öfter als Jungen und Männer bereit, dieses Risiko in Kauf zu nehmen, weil ihr Hauptinteresse dem Beziehungsgewinn gilt. Die Gefahr, verletzlich und abhängig zu erscheinen, ist von sekundärer Bedeutung für sie. Männer nehmen dieses Risiko nicht so leicht in Kauf, weil für sie das Verbergen von Schwäche und die Bewahrung ihrer Unabhängigkeit Vorrang haben und alles, was mit Intimität zusammenhängt, im Hintergrund steht.
    Viele Männer nehmen es ihren Frauen und Partnerinnen übel, dass sie mit Freundinnen über ihre Beziehung reden. Für diese Männer ist es ein Zeichen fehlender Loyalität, wenn man mit anderen über seine Partnerschaft spricht. Ein von mir befragter Mann gab seiner Empörung in starken Worten Ausdruck. Er sagte, er betrachte das Ausplaudern intimer Details einer Beziehung  – vor allem, wenn es um Schwächen des Partners gehe – ganz einfach und simpel als Vertrauensbruch. Er verachte jeden, der es nötig habe, sich auf eine solche Ebene herabzubegeben, um Bestätigung bei seinen Freunden zu finden. Solche heftigen Reaktionen stützen die Behauptung der Anthropologin Jill Dubisch (über die griechische Kultur), dass das Reden über Familienangelegenheiten mit Nicht-Familienangehörigen tabu sei, weil es eine geheiligte Grenze zwischen Innen und Außen verletze und etwas, was in die Familie hineingehöre, nach außen trage.
    Dubisch weist auch auf die symbolische Verbindung zwischen sprachlicher und sexueller Verschmutzung hin: Fremde ins Haus zu lassen, indem man ihnen von Familiengeheimnissen erzählt, sei wie »eine illegitime sexuelle Penetration«. Das scheint das Dilemma griechischer Witwen, wie es sich in einer von Caraveli dokumentierten Klagezeile spiegelt, einzufangen: »Die Witwe im Haus, Tratsch an der Tür«. Die Witwe wird ins Haus gezwungen, denn wenn sie es verlässt, setzt sie sich den sexuellen Angriffen des Klatsches aus.
    Wenn Männer keine Geheimnisse aus ihrem eigenen oder dem Leben anderer ausplaudern, um dadurch Intimität zu schaffen, heißt das nicht, dass sie nicht das Bedürfnis hätten oder keine Möglichkeiten fänden, Verbundenheit

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