Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Du lebst nur zweimal

Titel: Du lebst nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
Vom Netzwerk:
Die Pointe kam sicher noch. Wie würde sie aussehen?
    Tiger fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Haben Sie in der heutigen
    Abendausgabe der Asahi diesen Bericht über den Selbstmörder gelesen?« fragte er.
    »Nein.«
    »Ein achtzehnjähriger Student, der zum zweitenmal bei der Prüfung versagt hatte. Er wohnte in einem Außenbezirk von Tokio. Man baut dort gerade ein neues departmento, ein Warenhaus. Er ging zum Bauplatz, auf dem eine Pfahlramme Stützen für die Fundamente einschlägt. Plötzlich drängte er sich durch die umstehenden Arbeiter und legte seinen Kopf auf einen Block unter die herabsausende Ramme.«
    »Das ist ja grauenvoll! Und warum?«
    »Er hatte Schande über seine Eltern und seine Ahnen gebracht. Das war seine Sühne. Selbstmord ist eine sehr bedauerliche Seite der japanischen Lebensweise.« Tiger dachte einen Moment nach. »Vielleicht aber auch eine sehr vornehme! Es hängt ganz davon ab, wie man es ansieht. Dieser Junge und seine Familie haben in ihrer Nachbarschaft viel >Gesicht< gewonnen.«
    »Man kann doch durch ein zerquetschtes Hirn kein >Gesicht« gewinnen!«
    »Wir sind hier nicht so demokorasu wie ihr.« In Tigers Stimme schwang Ironie mit. »Schande muß getilgt werden - wenigstens nach der Ansicht jener unter uns, die Sie als altmodisch bezeichnen würden. Es gibt keine aufrichtigere Sühne als das Opfer des eigenen Lebens.«
    »Wenn man bei uns in England durchs Examen fällt, sagt man >verdammt!< oder gebraucht vielleicht einen noch stärkeren Kraftausdruck. Aber dann passen wir uns den Gegebenheiten an und versuchen was Neues. Wir bringen uns nicht einfach um, keinem Menschen würde das einfallen. Das wäre geradezu ehrlos. Es wäre feig - eine Flucht vor Schwierigkeiten, vor dem Leben. Außerdem würde es unseren Eltern großen Schmerz bereiten und unsere Ahnen keineswegs zufriedenstellen.«
    »Bei uns ist es gerade umgekehrt, Bondo-san. Trotz demokorasu werden die Eltern dieses Jungen heute abend zusammen mit den Nachbarn feiern. Ehre bedeutet uns mehr als das Leben.«
    Bond zuckte die Achseln. »Diese Häufung von Selbstmorden in Japan ist doch weiter nichts als eine Art Hysterie - ein Ausdruck der Gewalttätigkeit, die sich durch die ganze japanische Geschichte zu ziehen scheint. Wenn ihr das eigene Leben so wenig achtet, dann folgt daraus doch, daß ihr das Leben anderer noch weniger achtet.«
    »Wenn Selbstmord auch eine gewaltsame Lösung für ein persönliches Problem darstellt, wird er bei uns keineswegs verachtet wie in Ihrer Heimat. Eine unserer berühmtesten Sagen, die jedes Kind kennt, handelt von den siebenundvierzig Leibwächtern, deren Herr wegen ihrer Unachtsamkeit ermordet wurde. Sie schworen, ihn zu rächen. Und nachdem sie ihren Eid erfüllt hatten, kamen sie alle in Ako zusammen und begingen Selbstmord, um ihre Unachtsamkeit zu sühnen. Zur Zeit des Festes am Schrein von Ako müssen heute Sonderzüge zum Transport der ehrfürchtigen Pilger eingesetzt werden.«
    »Wenn eure Kinder mit solchen Geschichten aufwachsen, könnt ihr nicht erwarten, daß sie den Akt des Selbstmordes nicht verehren.«
    »So ist es!« meinte Tiger stolz. »Fünfundzwanzigtausend Japaner begehen jedes Jahr Selbstmord. Nur die Bürokraten betrachten das als eine beschämende Statistik. Je ausgefallener ein Selbstmord ist, desto mehr Anerkennung findet er. Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein junger Student berühmt, weil er versuchte, seinen eigenen Kopf abzusägen. Liebespaare werfen sich Hand in Hand in die Kegon-Fälle bei Nikko; der Vulkan Mihara auf Oshima ist eine weitere bevorzugte Örtlichkeit. Die Leute rennen über den glühenden Abhang des Kraters hinunter und springen in den kochenden Lavasee in der Mitte. Um diesen populären Zeitvertreib zu unterbinden, haben die lästigen Behörden mit hohem Kostenaufwand ein >Selbstmordverhütungsbüro< auf dem Gipfel eingerichtet. Die bequemste Guillotine stellen aber immer noch die Räder der guten alten Eisenbahn dar. Sie haben den Vorteil, automatisch zu funktionieren.«
    »Sie sind ein blutrünstiger alter Bastard, Tiger! Was soll dieses ganze Gerede eigentlich? Was hat es mit unserem Freund Martell und seinem einladenden Garten zu tun?«
    »Alles, Bondo-san, alles! Ganz gegen den Willen des Doktors natürlich ist sein Garten der begehrte Ort für Selbstmörder in ganz Japan geworden. Er bietet aber auch wirklich alles - eine Reise mit unserem berühmten >romantischen Expreß< nach Kioto; eine Dampferfahrt übers Meer; einen

Weitere Kostenlose Bücher