Du lebst nur zweimal
»Vor einem Monat, Bondo-san, habe ich einen meiner besten Agenten losgeschickt. Er sollte herausfinden, was in dem Park vor sich geht. Mein Minister, der Innenminister, hatte mich beauftragt. Er wiederum bekam seine Anweisung vom Premierminister. Die Sache begann Aufsehen zu erregen. Ich wählte einen guten Mann aus. Sein Auftrag lautete, in den Besitz einzudringen, zu beobachten und zu berichten. Eine Woche später, Bondo-san, wurde er an einem Strand in der Nähe des Todesschlosses aus dem Meer gefischt. Er war geblendet und im Delirium. Die untere Hälfte seines Körpers wies schreckliche Verbrennungen auf. Er konnte nur noch einen haiku über Libellen stammeln. Ich kam später dahinter, daß er als Junge eine weibliche Libelle an einen Faden gebunden und dann losgelassen hatte. Das ist ein Zeitvertreib unserer Jugend. Das wirkt als Köder für die männlichen Libellen, und man kann so schnell eine Menge Männchen fangen. Sie hängen sich an das Weibchen. Der haiku - das ist ein fünfzehnsilbiger Vers, den er bis zu seinem Tod dauernd wiederholte, lautete: >Einsamkeit! Rosa Libellen flitzen über die Gräber.<«
James Bond kam sich vor wie in einem Traum: der kleine, durch imitiertes Reispapier und Zedernsperrholz aufgeteilte Raum, der Blick auf den kleinen, zauberhaften Garten, in dem Wasser rieselte, die bleiche Röte der Morgendämmerung, der Geruch von saké und Zigaretten, die leise Stimme, die ein Märchen erzählte, wie man es sonst vielleicht nur in einem Zelt unter den Sternen zu hören bekam. Und doch war es etwas, das erst kürzlich passiert war, ganz in der Nähe - das jetzt eben geschah, etwas, weswegen Tiger hier mit ihm sprechen wollte. Warum? Weil er einsam war? Weil er sonst keinem trauen konnte? Bond richtete sich aus seiner gebeugten Haltung auf. »Das tut mir leid, Tiger«, sagte er. »Was haben Sie denn dann unternommen?«
Tiger Tanaka schien noch aufrechter auf seiner rechteckigen schwarzeingefaßten Matte zu sitzen. Er sah James Bond fest an und sagte: »Was gab es da noch zu tun? Ich habe mich bei meinen Vorgesetzten entschuldigt
- sonst nichts. Ich wartete darauf, daß sich eine ehrenvolle Lösung von selbst anbot. Ich habe auf Sie gewartet!«
»Auf mich?«
»Man hat Sie geschickt. Es hätte auch ein anderer sein können.«
James Bond gähnte. Er konnte es nicht unterdrücken. Das Ende des Abends war nicht abzusehen. Tiger hatte einen Vogel, einen japanischen natürlich. Wie, zum Teufel, konnte man diesem Vogel den Hals umdrehen? Bond sagte: »Tiger, es ist Zeit zum Schlafen. Sprechen wir morgen weiter darüber. Natürlich werde ich Ihnen helfen, so gut ich kann. Ich sehe ein, daß es ein schwieriges Problem ist. Aber gerade die schwierigen Probleme sollte man überschlafen.« Er wollte von seinem Stuhl aufstehen.
»Setzen Sie sich hin, Bondo-san!« sagte Tiger, und es klang wie ein Befehl. »Wenn Sie Ihr Vaterland lieben, fahren Sie morgen.« Er sah auf seine Uhr. »Mit dem Zug um zwölf Uhr zwanzig vom Hauptbahnhof Tokio. Ihr Ziel ist Fukuoka auf unserer südlichen Insel Kiushiu. Sie werden nicht in Ihr Hotel zurückkehren und auch Dikko nicht mehr sehen! Von jetzt an stehen Sie unter meinem persönlichen Befehl.« Die Stimme klang ganz ruhig und sanft. »Ist das klar?« Bond setzte sich mit einem Ruck auf. »Wovon sprechen Sie eigentlich, Tiger?«
»Sie haben neulich in meinem Büro eine sehr wichtige Erklärung abgegeben«, antwortete Tiger. »Dem Sinn nach sagten Sie, Sie seien ermächtigt, als Gegenleistung für MAGIC 44 jeden persönlichen Dienst zu leisten, um den ich Sie bitten würde.«
»Ich habe nie gesagt, daß ich dazu ermächtigt sei. Ich deutete an, daß ich auf eigene Verantwortung für Sie alles tun würde.«
»Das ist ebensogut. Ich nahm Sie beim Wort und bat um eine Unterredung mit dem Premierminister. Er war einverstanden, befahl mir aber, die ganze Angelegenheit als Staatsgeheimnis zu betrachten, von dem nur er und ich - und natürlich Sie Kenntnis haben.«
»Reden Sie nicht um die Sache herum, Tiger«, sagte Bond ungeduldig. »Drücken Sie sich endlich klar aus. Was wollen Sie von mir?«
Doch Tiger zeigte keine Eile. »Bondo-san«, begann er, »ich werde jetzt ganz offen zu Ihnen sprechen, und Sie werden nicht beleidigt sein, weil wir Freunde sind. Einverstanden? Es ist eine traurige Tatsache, daß ich - wie viele andere Leute in hohen Posten - mir nach dem Krieg eine unerfreuliche Meinung über die Engländer gebildet habe. Sie haben nicht nur ein
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