Du lebst nur zweimal
wir etwas über uns ergehen lassen, das ich am liebsten als die >Coca-Cola-Schule< bezeichnen möchte. Damit bezahlen wir zum Teil unsere Niederlage. Es ist eine verachtenswerte Lebensweise!« Tiger spuckte diese Worte fast aus. »Aber glücklicherweise nutzt sie sich von selbst ab und ist kurzlebig. Sie hat in der Geschichte Japans nicht mehr Bedeutung als das Leben einer Libelle.« Er schwieg einen Augenblick. »Aber zurück zu unserer Geschichte. Unsere amerikanischen Bürger sind an sich angenehme Leute, wenngleich natürlich etwas primitiv. Sie freuen sich über die Unterwürfigkeit unserer Frauen, die allerdings nur oberflächlich ist. Sie haben Spaß an unserer Einfachheit, hinter der eine tiefe Bedeutung steckt, von der sie zweifellos nichts verstehen. Sie finden Gefallen an unserer Achtung vor der Tradition und unserer Verehrung der Vergangenheit, weil sie keine Ahnung haben und wahrscheinlich kein erwähnenswertes Familienleben.«
»Das ist starker Tobak, Tiger! Ich habe eine Menge amerikanische Freunde, die keinesfalls so sind, wie Sie behaupten. Wahrscheinlich beziehen Sie sich auf die einfachen GIs, auf die ungebildeten Soldaten, die unter dem Schutz des Sternenbanners hierherkommen und zuviel Geld haben. Ich gebe zu, daß sie gelegentlich ein japanisches Mädchen heiraten und sich hier niederlassen. Aber sicher halten sie’s nicht lange aus.«
Tiger verbeugte sich fast bis auf den Boden. »Verzeihen Sie, Bondo-san. Sie haben natürlich recht, und ich bin auf unwürdige Weise von meiner Geschichte abgekommen. Ich habe Sie hierhergebeten, um über meinen tiefen Widerwillen gegen die Besetzung meines Landes zu sprechen. Entschuldigen Sie. Ich habe, wie man so schön sagt, Dampf abgelassen. Sie verstehen das?«
»Natürlich, Tiger. Mein Land hat seit Jahrhunderten keine Besetzung erlebt. Ich wüßte nicht, wie ich unter den gleichen Umständen reagieren würde. Wahrscheinlich genauso wie Sie. Bitte erzählen Sie weiter.« Bond nahm die Flasche mit dem saké und schenkte sich ein. Tiger Tanaka fuhr fort.
»Wie ich schon sagte, haben sich zahlreiche Ausländer in Japan niedergelassen, und meist sind es harmlose Sonderlinge. Aber es gibt einen Mann, der im Januar eingereist ist und sich als ein teuflischer Sonderling entpuppt hat. Dieser Mann ist ein Ungeheuer. Sie können ruhig lachen, Bondo-san, aber dieser Mann ist nichts anderes als ein Teufel in Menschengestalt.«
»Ich habe in meinem Leben schon viele schlechte Menschen kennengelernt, Tiger, und im allgemeinen waren sie leicht verrückt. Ist das hier auch der Fall?«
»Ganz im Gegenteil. Die berechnende Genialität dieses Mannes, sein Verständnis für die Psychologie meines Volkes, weisen ihn als überragendes Genie aus. Nach der Meinung unserer bedeutendsten Gelehrten und Professoren ist er ein Wissenschaftler und Sammler von einzigartiger Größe in der Geschichte der Welt.«
»Was sammelt er denn?«
»Er sammelt den Tod.«
7
James Bond lächelte über diese dramatische Ausdrucksweise. »Er sammelt den Tod? Soll das heißen, er bringt Leute um?«
»Nein, Bondo-san. So einfach ist das nicht. Er überredet, oder besser ausgedrückt, er verführt Leute dazu, sich selbst umzubringen.« Tiger schwieg einen Augenblick, wobei er seine buschigen Brauen hochzog. »Aber nein, auch das entspricht nicht ganz den Tatsachen. Sagen wir einfach, er bietet den Leuten eine bequeme und verlockende Möglichkeit, sich selbst aus dem Weg zu räumen. Seine augenblickliche Quote beläuft sich auf etwas über fünfhundert Japaner in knapp sechs Monaten.«
»Warum verhaften Sie ihn nicht und hängen ihn auf?«
»Wenn das so einfach wäre, Bondo-san! Ich erzähle Ihnen besser alles von Anfang an. Im Januar dieses Jahres reiste ganz legal ein Herr namens Dr. Guntram Martell in unser Land ein. In seiner Begleitung befand sich Frau Emmy Martell, geborene de Bedon. Beide wiesen Schweizer Pässe vor, und der Doktor bezeichnete sich als Gartenbaukünstler und Botaniker, der sich auf subtropische Pflanzen spezialisiert hatte. Er besaß erstklassige Empfehlungsschreiben des Jardin des Plantes in Paris und von Kew Gardens in England, außerdem noch von anderen Stellen, die jedoch ziemlich unverbindlich abgefaßt waren. Er stellte sehr schnell Kontakte zu den entsprechenden japanischen Stellen und zu Beamten des Landwirtschaftsministeriums her, und diese Herren erfuhren zu ihrer freudigen Überraschung, daß Dr. Martell bereit war, nicht weniger als eine Million Pfund für
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