Du machst, was ich will: Wie Sie bekommen, was Sie wollen - ein Ex-Lobbyist verrät die besten Tricks (German Edition)
sich damit auskennen? Eine Schande wäre es nur, zu entscheiden, ohne sich die nötigen Informationen zu beschaffen. Und dafür gibt es nur eine seriöse Möglichkeit: Jemanden zu fragen, der sich damit auskennt.
Oft sind die Treffen langweilig, weil alle ihre gewöhnlichen Rollen spielen: Die Diskussion hat sich verselbstständigt, wie wir es schon in Kapitel 1 besprochen haben. Die Interessengruppen sagen also das, was sie immer sagen: Die Verbraucherverbände zum Beispiel wittern hinter jedem Geschäftsmodell die große Abzocke, die Unternehmen malen bei jeder gesetzlichen Regulierung ihren Ruin und den Verlust sehr vieler Arbeitsplätze an die Wand. Die Politiker setzen eine wissende Miene auf und versichern, eine »interessengerechte Lösung« zu finden.
Manchmal aber verlassen die Menschen die Rollen, die auf ihrem Namensschild stehen. Dann sagen sie, was sie wirklich denken. Und dann gibt es wirklich interessante Gespräche. Da ist sich der prominente Abgeordnete nicht zu schade zuzugeben, dass er von einem speziellen Thema keine Ahnung hat. Und bittet darum, es ihm zu erklären. Da gesteht eine Unternehmensvertreterin, dass sie bestimmte Verbesserungen beim Kundenschutz eigentlich ganz sinnvoll fände. Und da sagt der Verbraucherschutzaktivist, dass seine große PR-Kampagne doch etwas überdramatisiert war, einfach weil man noch ein wenig Budget für die Öffentlichkeitsarbeit übrig hatte.
Die »Chatham-House-Regel« wurde schon 1927 im Londoner Chatham House erfunden, dem Sitz des Royal Institute of International Affairs. Seitdem wendet man sie weltweit bei verschiedenen Treffen an. Sie besagt: Außerhalb des Treffens darf zwar jeder die Informationen verwenden, die er bei dem Treffen erfahren hat. Aber er darf nicht sagen, von wem eine Aussage stammt.
Dahinter steht die Übereinkunft, dass jeder für den vereinbarten Zeitraum seine persönliche Meinung äußert und nicht die seiner Organisation. Besonders solche Situationen führten uns allen immer wieder vor Augen, dass wir es mit Menschen zu tun hatten, die von ganz unterschiedlichen eigenen Beweggründen gesteuert wurden – und eben nicht mit abstrakten Vertretern der Organisationen, die auf ihrem Namensschild standen. Das gerät an normalen Tagen doch sehr schnell in Vergessenheit.
Die »Chatham-House-Regel« schützt also die Anonymität. Manchmal steht auch nur ein Teil einer Zusammenkunft unter dieser Regel, dann ist der Kontrast zu dem anderen Teil besonders unterhaltsam, dem Teil, in dem alle wieder ihre gewohnten Rollen spielen.
In der Öffentlichkeit gelten vertrauliche Gespräche oft als anrüchig. In Wahrheit aber ist man dort den vernünftigen Lösungen oft am nächsten, weil auf den Menschen nicht mehr der Druck lastet, das zu sagen, was die Öffentlichkeit von ihnen in ihrer Rolle erwartet. Das wissen übrigens auch die Journalisten, die solche »Heimlichtuerei« oft kritisieren: Auch sie führen vertrauliche Hintergrundgespräche, mit Politikern ebenso wie mit Interessengruppen. Vertraulichkeit muss nicht immer etwas Gutes bedeuten – aber auch nicht zwingend etwas Schlechtes.
Ob mit »Chatham-House-Regel« oder ohne – solche Treffen sind oft aufschlussreich und fast immer hilfreich. Doch die Konkurrenz ist in Berlin so unfassbar groß, dass man um jeden Teilnehmer kämpfen muss. Meist melden sich viele an und kommen dann doch nicht, weil ihnen kurzfristig ein anderer Termin oder zu viel Arbeit dazwischengekommen ist. Die »No-Show-Quote« war bei allen diesen Veranstaltungen hoch.
In der Branche fragten wir uns, wie wir die Teilnehmerzahl dauerhaft erhöhen könnten. Wir hatten einiges versucht: unterschiedliche Orte und Zeiten, zugkräftige Redner. Nichts wirkte sich merklich auf die Besucherzahlen aus. Als ich wieder einmal über diese Frage nachdachte, klingelte mein Telefon. Ein Fraktionsmitarbeiter meldete sich auf eine Terminanfrage. Er sagte zu, unter einer Bedingung: »Sie reservieren im Steakhaus.«
Da notierte ich auf die Planungen für das nächste Branchentreffen: Lasst uns etwas zu essen anbieten.
Wir versuchten es. Wir machten aus den Treffen Arbeitsfrühstücke. Es gab etwas Gutes zu essen, vom Feinkosthändler.
Und die Leute kamen. Sie kamen nicht, sie rannten uns die Bude ein. Die »No-Show-Quote« sank spektakulär. Die Leute griffen zu, als hätten sie seit Wochen nichts mehr gegessen.
In einer Umfrage nennen Mitarbeiter von Abgeordnetenbüros ganz offen einen Grund, warum sie gerne zu Empfängen
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