Du Mich Auch
es am Wasserhahn an und reichte es Evi, die sich mit schnellen Bewegungen die Schminke abrieb. Dann streifte sie sich die Plüschpantoffeln über. Jetzt sah sie aus wie eine Vierjährige, die über Nacht erwachsen geworden war.
»Danke«, sagte Evi. »Du bist die beste Freundin unter der Sonne.«
»Du auch«, lächelte Beatrice.
Lautlos schlich Evi zur Küchentür und öffnete sie vorsichtig. Im Flur riss sie einen Mantel vom Garderobenhaken, schnappte sich ihre Handtasche und stürzte hinaus, während der Herr Familienminister sich lustvoll ins Nirwana beamte.
Alles schien ruhig, als Evi um Viertel nach sechs aus dem Taxi stieg. Die Jungen schliefen sowieso felsenfest, und Werner war hoffentlich noch nicht aus seinem künstlichen Schlaf erwacht. Doch Evi hatte nicht mit Kafka gerechnet. Freudig kam die kleine Hündin auf sie zugelaufen und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz, als sie sich gerade unbemerkt ins Haus schleichen wollte.
»Guter Hund, braver Hund«, lobte sie sie. »Sei so lieb und halt dein hübsches Schnäuzchen!«
Der Name Kafka war Svens Idee gewesen. Er mühte sich gerade im Deutsch-Leistungskurs mit diesem Dichter ab. Allerdings war Kafka leider schon am frühen Morgen hyperaktiv.Hocherfreut über die Aussicht auf ihr Frühstück begann sie zu bellen. Und schon erschallte ein vertrauter Schrei aus den oberen Gemächern.
»Eviiiii!«
»Ja-haaa!«
Sie warf den Mantel über das Treppengeländer und hastete nach oben, gefolgt von Kafka.
»Wo warst du?« Mit blutunterlaufenen Augen saß Werner auf der Bettkante und versuchte, die Füße auf den Boden zu stellen.
Evi hielt den Hund fest, der drauf und dran war, auch Werner seine tiefe Sympathie zu zeigen. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Noch nie war sie eine ganze Nacht lang weggewesen, einfach so. Seit längerem schlief sie allerdings im Gästezimmer. Deshalb war Werner bisher nicht in der Lage gewesen, ihre Anwesenheit zu überprüfen. Heute Morgen jedoch sah er furchtbar munter aus. Hatte er etwas gemerkt?
»Also? Ich warte auf eine Antwort!«
Zum Glück war sie so geistesgegenwärtig gewesen, noch schnell am Bahnhof eine Bäckerei aufzusuchen. Fröhlich schwenkte sie eine Papiertüte. »Ich war Brötchen holen! Du magst doch frische Brötchen zum Frühstück. Willst du ein Spiegelei dazu?«
Natürlich spürte Werner, dass etwas nicht stimmte. Doch Evis lachhafter Pyjama und die Pantoffeln ließen nicht darauf schließen, dass sie eine absolut unanständige Nacht verbracht hatte.
»Na ja, das mit den Brötchen ist okay«, lenkte er ein. »Deck im Esszimmer für zwei. Ich bekomme Besuch.«
»Besuch? So früh am Morgen? Wer ist es denn?«
»Mergenthaler. Wir haben was zu besprechen.«
Evi schluckte. Oh, nein! Lief da was hinter ihrem Rücken? Seit dem denkwürdigen Abend im »Délice français« hatte sie mehrmals mit Dr. Mergenthaler telefoniert und den Eindruck gewonnen, dass er ihr nach wie vor treu ergeben war. Angeblich machten seine Transferaktionen Fortschritte. Dieser unvermutete Besuch passte nicht ganz dazu. Was jedoch absolut nicht zu ihrer tränentreibenden Story vom todkranken Werner passte, war seine unvermutet gute Verfassung.
»Willst du schon mal einen frisch gepressten Orangensaft, Schnuffelbärchen?«, fragte Evi zitternd. »Oder einen Kaffee?«
»Beides. Und zieh dir was Anständiges an«, grummelte Werner.
Sogleich lief Evi in die Küche und warf die Espressomaschine an. Während sie sechs Eier aus dem Kühlschrank holte, dachte sie fieberhaft nach. Abführmittel? Valium? Oder war ein innovativerer Cocktail angebracht?
Hektisch riss sie den Medikamentenschrank auf. Im obersten Regal fand sie ein starkes Kreislaufmittel. Es war gegen niedrigen Blutdruck gedacht und putschte ziemlich auf, wie sie sich erinnerte. Vor einiger Zeit hatte sie es sich wegen ihrer Schwindelanfälle verschreiben lassen. Zusammen mit den bewährten Tropfen und Werners Neigung zu Bluthochdruck müsste das einen Paukenschlag ergeben.
Der Mörser gehörte neuerdings zu ihren unverzichtbaren Küchenutensilien. Sie zermalmte zehn Tabletten zu einem gleichmäßigen Pulver und rührte ein paar Tropfen ihrer Lieblingsmedizin dazu. Dann drückte sie auf die Cappuccinotaste der Kaffeemaschine, presste Orangen aus und verteilte ihre Spezialmischung auf die Tasse und ein Glas Orangensaft.
Werner war kraftlos in die Kissen zurückgesunken, als sie mit den Getränken ins Schlafzimmer zurückkehrte.
»Gleich wirst du dich besser fühlen«,
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