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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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guten Badeplatz finde.«
    Ich fragte sie, wo die Fahrradpumpe sein könnte, aber sie wusste es nicht.
    Also musste ich mit ziemlich wenig Luft in den Reifen losfahren. Ich hatte die Sonne im Rücken, und als ich das schmalere östliche Ende des Sees erreichte, sah ich, dass der See vor Kurzem auf der anderen Seite des Weges weitergegangen war, dort, wo jetzt die Böschung war. Jenseits der Böschung war ein Sumpf voller Schilf und Rohrkolben. Hoch über allem kreiste ein Mäusebussard.
    Ich lehnte mein Fahrrad gegen einen Pfosten und folgte einem kaum ausgetretenen Trampelpfad in den Sumpf. Zwanzig Meter vom Weg entfernt stellte ich die Sporttasche ab. Ich war barfuß und hatte keine Handschuhe dabei, und meine Winterjacke hatte ich auch nicht mitgenommen. Also kauerte ich mich vorsichtig hin, um die Tasche zu öffnen.
    It’s in his nature, dachte ich. Wenn die Schlange eine Chance bekommt, wird sie mich beißen. Die geschwollene Pfote derKatze fiel mir ein. Es ist bestimmt unangenehm, von einer Kreuzotter gebissen zu werden, wenn auch sicher nicht so unangenehm wie der Biss von einer Klapperschlange oder Kobra.
    Ich warf einen Blick zum Himmel und hielt der Schlange einen kleinen Vortrag: »Du musst dich vor dem Mäusebussard in Acht nehmen. Auch wenn er Mäusebussard heißt, isst er bestimmt auch Schlangen zu Mittag. Und jetzt, adieu!«
    Dann öffnete ich den Reißverschluss und tippte die Tasche an, sodass sie umfiel und die Schlange herauskriechen konnte. Sicherheitshalber zog ich mich einige Schritte zurück. Aber der Schlange schien es inzwischen in der Tasche zu gefallen. Ich suchte nach einem Stock und musste fast bis zum Weg zurückgehen, ehe ich einen fand. Als ich zur Tasche zurückkam und sie mit dem Stock anstupsen wollte, glitt die Schlange gerade heraus und verschwand unter einem Grasbüschel.
    Vorsichtig ging ich mit nackten Füßen zur Tasche, schnappte sie mir und kehrte zum Fahrrad zurück, den Blick auf den Pfad gerichtet, damit ich nicht aus Versehen auf die Schlange trat und doch noch gebissen wurde.
    Ich fuhr weiter am Seeufer entlang. Die Häuser standen dicht an dicht, alle hatten ihren eigenen Badeplatz, und an einigen Stellen lagen private Badepontons. Hier und da war Sand aufgeschüttet, damit die Kinder in ihrem eigenen und ganz weichen Sand spielen konnten.
    Ich kam gleichzeitig mit Morgan zu Hause an, er aus der einen Richtung und ich aus der anderen. Wir spurteten beide und versuchten, als Erster die Pforte zu erreichen. Ich war ihm ein Stück voraus, und als ich in die Pfortenöffnung einbog, versuchte er, mich abzudrängen und umzuwerfen. Aber er schaffte es nicht. Als wir unsere Räder unter der großen Eiche abstellten, beugte ich mich vor und flüsterte ihm zu:
    »Ich hab die Schlange gesehen!«
    Seine Augen wurden sofort zu Rattenpimmeln.
    »Wo?«
    »In deinem Zimmer.«
    Er sah geschockt aus, und seine Stimme wurde schrill.
    »In meinem Zimmer?«
    »Still!«, sagte ich. »Wir dürfen Mama und Annie nicht erschrecken. Ich hab deine Zimmertür zugemacht, sie ist also da drinnen. Du musst raufgehen und sie einfangen.«
    »Wie denn?«, zischte er.
    »Nimm einen Rechen mit«, schlug ich vor. »Wenn du sie erwischst, brauchst du sie nur noch aus dem Fenster zu werfen. Aber du musst natürlich aufpassen, dass nicht Mama oder Annie auf der Veranda sind.«
    Er nickte, als hätte er einen guten Rat bekommen, holte den Stahlrechen mit den federnden Zinken, und dann verschwand er mit der Trainingstasche über der Schulter durch die Tür.
    Ich mähte den Rasen fertig, und dann ging ich zu Morgan hinauf. Seine Zimmertür war geschlossen. Ich öffnete sie und schaute hinein. Er hatte Stiefel und Fausthandschuhe angezogen, die Umzugskartons ausgepackt und die Kleidung auf das Bett gelegt. Der Rechen lehnte an der Wand.
    »Und, wie sieht’s aus?«, fragte ich.
    »Ich finde das Biest nicht«, behauptete er.
    »Hast du in den Kartons nachgeschaut?«, fragte ich.
    »Was meinst du, was ich hier mache?«
    »Na, dann viel Glück.« Ich ging wieder nach unten und brachte den Rasenmäher zu Berger zurück.
    Sobald ich durch die Pforte kam, hörte ich etwas, was zunächst so klang, als würde jemand Gitarre spielen, dann erkannte ich, dass es sich um ein anderes Instrument handelte. Die Tür stand noch immer offen, ich ließ den Rasenmäher auf dem Gartenweg stehen und näherte mich der Treppe. Auf dem Tisch standen noch genau wie am Morgen die Teetasse und dasMedizindöschen, und daneben lag das Buch.

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