Du oder der Rest der Welt
mir den Rucksack auf den Rücken und marschiere auf die Brücke zu, die über den Boulder Creek führt.
»Hey, chica «, ruft er mir nach.
Ich laufe weiter, auf meinen Rückzugsort in den Bergen zu.
»¡ Carajo !« Ich drehe mich nicht um, aber die Geräusche, untermalt von Carlos’ spanischen Flüchen, verraten mir, dass er versucht, die Beifahrertür zu öffnen und auszusteigen. Er scheitert grandios. Als er aus dem Fenster klettert und auf den Schotter des Parkplatzes fällt, höre ich ihn wieder fluchen.
»Kiara, verdammt. Warte auf mich!«
Ich bin inzwischen am Fuß des Berges angelangt, wo meine übliche Tour beginnt.
»Wo zum Henker sind wir?«, fragt er.
Ich deute auf den Wegweiser, dann gehe ich weiter auf die großen Felsen zu.
Er rutscht immer wieder auf Kieseln aus, während er versucht, mit mir Schritt zu halten. Wir sind auf dem Wanderweg angelangt, aber den werde ich schon bald verlassen und meinem eigenen Pfad folgen. Carlos trägt für diesen Pfad auf keinen Fall die richtigen Schuhe.
»Du hast echt einen an der Klatsche, chica «, knurrt er.
Ich gehe einfach weiter. Auf halber Strecke zu meinem Ziel mache ich Halt und ziehe eine Wasserflasche aus meinem Rucksack. Es ist nicht allzu heiß, und ich bin die Höhe gewöhnt, aber ich habe schon Leute hier beobachtet, die völlig dehydriert waren, und es war kein schöner Anblick.
»Hier«, sage ich und strecke ihm die Wasserflasche entgegen.
»Machst du Witze? Das Wasser ist bestimmt vergiftet.«
Ich nehme noch einen großen Schluck, dann biete ich die Flasche erneut an. Er macht großes Aufheben daraus, den Flaschenhals mit dem Saum seines T-Shirts abzuwischen, als hätte ich die Pest, dann trinkt er ausgiebig.
Als er mir die Flasche wiedergibt, wische ich das Mundstück noch demonstrativer mit meinem T-Shirt ab. Ich glaube, ich höre ihn glucksen. Entweder das, oder er versucht zu verbergen, wie sehr er von unserer Kletterei außer Atem ist.
Als ich wieder loslaufe, macht Carlos seinem Ärger schnaufend Luft. »Ist das deine Vorstellung von Spaß? Also ich verstehe etwas ganz anderes darunter, sich zu amüsieren.«
Ich halte das Tempo. Jedes Mal, wenn Carlos ausrutscht, flucht er. Man sollte meinen, er hätte inzwischen begriffen, dass er sich lieber auf das Wandern konzentrieren sollte und darauf, nicht auf den Steinen auszurutschen, aber er schimpft weiter.
»Habe ich dir schon gesagt, wie ätzend es ist, dass du kaum noch etwas zu mir sagst? Du bist wie ein Stummer, der noch nicht mal Zeichensprache benutzt. Ich meine, mal ernsthaft, das macht mich wahnsinnig. Meinst du nicht, ich habe schon genug am Hals? Schließlich hat man mir was angehängt, ich wurde verhaftet und muss zu diesem dämlichen REACH-Programm gehen.«
»Ja.« Ich erreiche die Stelle, wo ich über einen schmalen Vorsprung balancieren und mich an den überhängenden Felsen festhalten muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich habe zu jeder Zeit guten Halt, und selbst wenn ich fallen sollte, ist das nicht weiter schlimm. Es geht gerade mal einen Meter auf flaches Gelände runter.
»Was soll das?«, fragt er und folgt mir. Wahrscheinlich weil er glaubt, dass er gar keine andere Wahl mehr hat. »Wollen wir irgendwohin, oder wanderst du nur ziellos durch die Gegend, bis ich ausrutsche und mir den Hals breche?«
Ich klettere über den großen Felsbrocken, der meine Zuflucht vor anderen Wanderern verbirgt, und bleibe stehen, als ich die Lichtung und den einzelnen Baum mit ausladenden Ästen erreiche. Ich bin eines Tages über diese Stelle gestolpert, als ich einen Ort brauchte, wo ich hin konnte, um … nachzudenken. Inzwischen komme ich oft her. Ich mache meine Hausaufgaben hier, male, lausche den Vögeln und sauge den Duft der frischen Bergluft in mich auf.
Ich setze mich auf einen flachen Stein, öffne meinen Rucksack und stelle die Wasserflasche neben mich. Dann schlage ich mein Analysisbuch auf und beginne mit den Hausaufgaben.
»Du lernst ? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
»Hm.«
»Und was soll ich währenddessen machen?«
Ich zucke mit den Achseln. »Genieß die Aussicht.«
Er guckt schnell nach rechts und links. »Ich sehe nichts als Felsen und Bäume.«
»Eigentlich logisch.«
»Gib mir die Schlüssel« verlangt er. »Sofort.«
Ich ignoriere ihn.
Er murmelt wütend vor sich hin. Es wäre ein Leichtes für ihn, mich zu überwältigen, sich meinen Rucksack zu schnappen und die Schlüssel selbst rauszufischen. Aber das tut er nicht.
Ich
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