Du oder der Rest der Welt
setzt sich auf die Kante des Konferenztischs. »Na ja, ich habe darüber nachgedacht … ich meine, solange uns beiden klar ist, dass nichts Ernstes daraus wird, könnten wir doch, du weißt schon, abhängen.«
»Was heißt ›abhängen‹ für dich?«, frage ich.
»Du weißt schon, mehr Zeit miteinander verbringen. Du bringst mich zum Lachen, Kiara, und ich kann gerade etwas Spaß in meinem Leben gebrauchen.« Er kommt auf meine Seite des Tisches und mustert mein Outfit, dann pfeift er anerkennend. »Hammerbeine. Du solltest sie öfter zeigen.«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich denke darüber nach.«
»Worüber denn? Deine Beine öfter zu zeigen oder mit mir abzuhängen?«
»Beides.« Auf der einen Seite ist die Vorstellung, mehr Zeit mit Carlos zu verbringen, ungeheuer aufregend, aber auf der anderen muss ich mein Herz davor schützen, gebrochen zu werden. Für Carlos heißt abhängen, Spaß zu haben, aber trotzdem immer seinen emotionalen Schutzwall aufrechtzuerhalten, damit das mit uns nicht zu ernst wird. Ich weiß nicht, ob ich das auch kann.
Im Saal angekommen stelle ich Carlos Sylvia, Mildred, Mr Whittaker und den anderen vor. Sylvia fasst mich am Ärmel. »Er ist ein gutaussehendes Kerlchen.«
»Ich weiß. Leider weiß er das auch.«
Mildred winkt Carlos zu sich. »Ich muss Sie mir mal ansehen. « Sie mustert ihn prüfend von oben bis unten. »Ich habe Sie gesehen, als Sie reingekommen sind. Was sollen die ganzen Tattoos? Mit denen sehen Sie aus wie ein Rowdy.«
»Ich schätze, ich bin ein Rowdy«, erwidert er. »Was immer das heißen mag.«
»Es heißt, dass Sie nach Ärger riechen«, sagt Mildred und zeigt mit ihrem Pinsel auf ihn. »Nichts als Ärger. Mein Ehemann war ein Rowdy. Der Ärger folgte ihm, wohin er auch ging. Er fuhr immer mit seinem Motorrad durch die Gegend, als wäre er James Dean.«
»Was ist aus ihm geworden?«, fragt Carlos sie.
»Der alte Hund ist vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.« Sie tätschelt Carlos Wange. »Sie sehen ihm ein bisschen ähnlich. Kommen Sie mal näher.«
Als er ihrer Bitte entspricht, schließt sie die Augen und streckt die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. Sie zieht es fast mit ihren Fingern nach. Carlos hält still, während sie in Gedanken in eine glücklichere Zeit zurückkehrt und sich vorstellt, sie berühre das Gesicht ihres Mannes und nicht Carlos’. Mildred seufzt und öffnet die Augen. »Danke«, flüstert sie, Tränen in den Augen.
Carlos nickt in schweigendem Einverständnis, als sei ihm bewusst, welches Geschenk er ihr gerade gemacht hat. Und ich stehe da und komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Nach außen hin gibt Carlos das taffe Ekelpaket, das niemanden nah an sich ranlässt. Aber wenn er unvermutet seine Warmherzigkeit und Leidenschaft aufblitzen lässt, fühle ich, wie mein Schutzwall zu bröckeln beginnt.
»Also dann, lassen Sie uns mit dem Unterricht beginnen«, sagt Antoine.
Er hat eine kleine Bühne im vorderen Bereich des Raumes aufgebaut. »Sie beide«, sagt er und deutet auf uns, »stellen sich da oben hin und posieren.«
Carlos klettert zuerst auf die Bühne, dann nimmt er meine Hand und hilft mir hinauf. »Was jetzt?«, fragt er.
»Wir sollen posieren«, flüstere ich.
»Wie?«
Antoine klopft mit der Hand auf die Bühne, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. »Ich werde Ihnen sagen, wie. Kiara, fassen Sie ihn an den Schultern. Carlos, halten Sie sie an der Taille.«
Wir machen, was er sagt. »So?«, frage ich und versuche zu ignorieren, wie es sich anfühlt, dass Carlos mich hält.
»Sie sehen aus, als hätten Sie Angst, sich zu nahe zu kommen«, sagt Antoine. »Sie sind viel zu steif, Kiara. Lehnen Sie sich mit Ihrem Oberkörper zu Carlos. Ja, genau so. Jetzt beugen Sie das Knie … Carlos, stützen Sie sie ein bisschen, sonst fällt sie um … Kiara, sehen Sie ihn an, als wären Sie verliebt und würden sich wünschen, dass er Sie küsst. Und Carlos, Sie gucken zu ihr runter, als wäre Kiara das Cowgirl, auf das Sie schon Ihr ganzes Leben gewartet haben. Perfekt!«, sagt er. »Und jetzt rühren Sie sich die nächste halbe Stunde nicht.« Er wendet sich den Senioren zu und redet über Umrisse und die menschliche Körperform. Ich dagegen kann nicht anders, als mich in Carlos Augen zu verlieren.
»Du hast das toll gemacht, mit den Alten«, lobe ich ihn flüsternd. »Ich weiß es echt zu schätzen, dass du mitgekommen bist.«
»Und ich weiß zu schätzen, dass du dieses Kleid da
Weitere Kostenlose Bücher