Du oder der Rest der Welt
er innere Blutungen hat, aber seine Hautfärbung ist gut. Behalte ihn ein paar Tage zu Hause, bevor du ihn wieder zur Schule gehen lässt – er wird sich bald besser fühlen. Ich komme am Mittwoch noch mal vorbei, um nach ihm zu sehen.«
Nachdem alle zum Essen nach unten gegangen sind, schlüpft Kiara zurück in mein Zimmer und starrt mich vom Fußende meines Bettes aus an. »Es tut mir nicht leid, dass ich ihnen erzählt habe, was mit dir los ist. Du bist nicht so unverwüstlich, wie du glaubst. Und noch eine Sache …« Sie beugt sich vor, bis wir auf Augenhöhe sind. »Jetzt, da ich weiß, dass es dir bald wieder besser gehen wird, habe ich beschlossen, kein Mitleid mehr mit dir zu haben. Falls du mit Drogen dealst, sorgst du lieber dafür, schleunigst aus dem Geschäft auszusteigen. Ich weiß, das Geld in dem Umschlag, den du in deinem Kopfkissen versteckt hast, kommt nicht vom Verkauf meiner Magnetplätzchen.«
»Ich mochte dich lieber, als du noch Mitleid mit mir hattest«, erwidere ich. »Und du hast zu viel Phantasie. Deine verdammten Plätzchen wollte keiner haben, geschweige denn kaufen. Und ich verkaufe keine Drogen.«
»Sag mir, wo du das Geld herhast.«
»Das ist kompliziert.«
Sie rollt mit den Augen. »Bei dir ist alles kompliziert, Carlos. Ich möchte dir helfen.«
»Du hast grad gesagt, du hättest kein Mitleid mit mir. Warum willst du mir dann helfen?«
»Es ist selbstsüchtig, aber ich halte es nicht aus, die Schmerzen meines Als-ob-Freundes mitanzusehen.«
»Also geht es dir gar nicht um mich, sondern um dich?«, frage ich belustigt.
»Ja. Und nur damit du es weißt: Du hast mir den Homecoming-Ball versaut.«
»Wie das?«
»Falls dir die Plakate in der Schule nicht aufgefallen sind, er findet nächstes Wochenende statt. Da du nicht mal laufen kannst, wirst du am Samstag unmöglich in der Lage sein, mit mir zu tanzen.«
44
Kiara
Am Mittwoch besteht Carlos darauf, zur Schule zu gehen. Er behauptet, er fühle sich besser, dabei sehe ich genau, dass seine Bewegungen langsamer sind als normal und er immer noch unter Schmerzen leidet. Er hat ein blaues Auge, und seine Lippe ist immer noch geschwollen, aber dadurch sieht er nur noch taffer und hartgesottener aus. Die meisten Schüler der Flatiron starren ihn an und deuten auf ihn, als wir durch die Flure laufen. Jedes Mal, wenn Carlos bemerkt, dass jemand uns anstarrt, legt er demonstrativ den Arm um mich. Irgendwie macht es keinen Spaß, seine Freundin zu spielen, wenn das Angestarrtwerden alles ist, was wir davon haben. Aber wir sind zusammen, und es gibt mir Kraft, wie unbeeindruckt er den Gerüchten begegnet, die über ihn in Umlauf sind.
Beim Mittagessen sitze ich mit Tuck zusammen, als Carlos an unserem Tisch auftaucht. »Iih«, sagt Tuck. »Ich hab Tränen in den Augen, wenn ich deine übel zugerichtete Visage sehe. Tu uns allen den Gefallen und trage ein Maske oder so was. Oder Make-up.«
Bevor ich Tuck unter dem Tisch einen Tritt verpassen kann, packt Carlos die Rückenlehne von Tuchs Stuhl und kippt ihn nach hinten. »Zieh Leine, Fucker.«
»Der Name ist Tucker«, sagt Tuck, der vom Stuhl rutscht, aber sein Bestes gibt, nicht runterzufallen.
»Was auch immer. Ich muss mit Kiara reden. Allein.«
»Hört auf zu streiten, ihr zwei«, fahre ich sie an. »Carlos, du kannst Tuck nicht einfach befehlen, zu gehen.«
»Noch nicht mal, wenn ich dich fragen will, ob du mit mir zum Homecoming gehen willst?«
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Das meint er doch nicht ernst. Das kann er nicht ernst meinen. Vor drei Tagen konnte er sich kaum bewegen, da kann er doch nicht mit mir zum Homecoming gehen. Ich sehe, wie er jedes Mal den Drang unterdrückt, vor Schmerz zusammenzuzucken, wenn er sich strecken muss, um Bücher aus seinem Spind zu nehmen, oder wenn er sich auf einen Stuhl setzen will. Er hat mir erzählt, der Doktor habe gesagt, er solle sich bewegen, damit die Muskulatur nicht steif wird, aber er ist nicht Superman, auch wenn er es gerne wäre.
Tuck zeigt auf den Boden. »Fällst du jetzt vor ihr auf die Knie? Euch starren sowieso schon alle an. Ich könnte ein Foto mit meinem Handy machen und es an das Jahrbuchkomitee schicken.«
»Tuck«, sage ich und sehe zu meinem besten Freund hoch, »zieh Leine.«
»Okay, okay. Ich setze mich rüber zu Jake Somers. Wer weiß, vielleicht fasse ich durch Carlos’ Beispiel den Mut und frage ihn, ob er mit mir zum Homecoming geht.«
Carlos schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht
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