Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
skrupellose Hasenfuß mit dem ulkigen Nachtschweiß – dass ich auf meine letzten Tage noch so viel Überraschendes und Schönes miterleben durfte!
»Allmählich verspüre ich wieder einen leichten Hunger«, sagte Mendelssohn. »Wie spät ist es?«
»Viertel vor vier. Marvie sollte los, solange es noch dunkel ist.«
Wir gingen in die Küche, machten Kaffee und tischten die Buffet-Reste aus dem Kühlschrank auf.
»So eine Catering-Firma ist schon was mächtig Praktisches. Mendelssohn, hast du schon von diesen Fischhappen probiert? Sensationell!«
»Unbedingt, Herr Mendelssohn!«, insistierte Paps in voller Gastgeberbreite. »Die sollten Sie sich nicht entgehen lassen! Schlomo, noch etwas Champagner? Das wird uns allen gut tun. Was ist, Herr Cromo – Sie wirken bedrückt?«
»Ich BIN bedrückt. Tschuldigung, aber ich habe es nicht alle Tage mit Toten zu tun. Und schon gar nicht damit, sie vor der Polizei zu verstecken.«
»Sie haben recht. Aber wir alle sollten das so positiv wie möglich sehen.«
»Was, bitte, ist positiv daran, wenn im Zimmer über einem eine Leiche …« Wir alle sahen zur Decke, als erwarteten
wir dort Feuchtigkeitsflecken. Vom Austritt der Leichenflüssigkeit. »Außerdem macht es mich ungeheuer nervös, dass ich nicht weiß, was da oben überhaupt geschehen ist. Ich finde, wenn ich den Zirkus schon mitmache, habe ich auch ein Recht auf die Wahrheit.«
Cromwell schaute Paps trotzig an, Paps seufzte: »Also schön.«
»Sie sind mit dem Dicken nach oben gegangen? Und dann?«
»Dann kamen die Kinder nach, eins nach dem anderen. Der Dicke beleidigte mich und Marvie. Es war sehr unschön. Und sehr laut. Also bat ich ihn, diese Szene nicht auf dem Flur, sondern in der Kammer fortzusetzen. Da wurde er dann noch unverschämter.«
»Womit hat er Sie denn so aufgebracht?«
Paps bekam wieder seine blauen Eiszapfen und hielt damit auf Cromwell. Er überlegt wohl, ob Cromwell tatsächlich nichts Näheres über das saubere Eingemachte der Lövenichs wusste. Ich war gespannt, in welcher Form ihm Paps die Skandale seiner Familie verkaufen würde.
Paps wedelte mit der Hand, als spräche er von einem kleinen Missverständnis: »Es ging eigentlich um Geld. Ja, ich habe seinerzeit Gelder veruntreut. Aber meine Schuld sitze ich ab, Tag für Tag. Ich schwöre Ihnen: Wenn ich meine Taten rückgängig machen könnte…« Paps seufzte wieder, diesmal so schwer und theatralisch, dass ich ihm seine Reue beinahe abgenommen hätte. Er betupfte sich sogar wie verstohlen die Augen. Wirklich eine melodramatische Begabung. Und dann log er Cromwell und Mendelssohn
derart glaubwürdig die Hucke voll, dass sogar ich darüber vergaß, was für ein Ausbund an Finanzkriminalität und spektakulär tabuloser Lebensführung diese babylonisch-sodomitische Familie in Wirklichkeit war. Paps wirkte durch und durch mitgenommen, als er zur Katharsis seiner Lügendramatik kam: Schließlich habe der Dicke geschworen, er würde die Familie finanziell vernichten, aber das wäre ja weniger schlimm, denn dann müsse der weibliche Teil der Lövenichs eben auf den Strich gehen, und so einen großen Unterscheid zu ihrem bisherigen Leben stelle das ja nicht dar … »Lassen Sie mich die obszönen Phrasen nicht wiederholen! Es war unsäglich! Schlimm!« Und in diesem Moment, da der Dicke nur noch aus Häme zu bestehen schien und mit gehässiger Freude die Ehre der Töchter besudelte, da sei er außerdem ganz plötzlich auf Marvie zugegangen, habe die Hand erhoben – und dies geschah alles so schnell und war so bedrohlich, dass erstens Katharina ihn ins Gesicht schlug, zweitens Laura ihm einen Stoß versetzte, auch Marvie und Ritchie hätten ihren Unmut geäußert, und als Folge sei der Dicke gestürzt. Und es wäre nur ein unbedeutendes Handgemenge geblieben, hätte da nicht diese unselige Truhe im Wege gestanden … Paps schien final um Fassung zu ringen und fragte dann: »Hätten SIE IHRE Kinder wegen eines solchen Missgeschicks ausgeliefert? Hätten SIE das gekonnt?«
Cromwell und Mendelssohn schwiegen. Mir schwirrte der Kopf vor Mitgefühl, Skepsis und Champagner. Zwei Fischhappen später war ich der Überzeugung, dass wir alle in absolutem Gleichklang mit der Gerechtigkeit handelten,
wenn wir den bösen Mann bald seinem in Blitzzement erstarrenden Schicksal zuführten.
Mendelssohn wendete noch einmal schwächlich ein: »Aber ein menschliches Wesen war er trotzdem.«
»Nur formell«, sagte ich. »In Wirklichkeit gehörte er
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