Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
von der Fassade gegenüber reflektiert wurde, ihn nicht blendete. Die schlechte Skype-Verbindung ließ Nickys Bewegungen seltsam zerhackt erscheinen, sie wirkte manisch und gereizt, und angesichts dessen, was sie zu erzählen hatte, wunderte ihn das überhaupt nicht.
»Das Themse-Wasser schmeckt komisch – ganz anders, als man denken würde.« Sie lachte kurz, aber es klang nicht überzeugend. Im Licht der Deckenstrahler in der Küche wirkten die Schatten unter ihren Augen besonders dunkel. Sie sah müde aus.
»Ich hab immer noch nicht verstanden, wieso du überhaupt reingefallen bist. Hast du Kontakt zu einem Anwalt aufgenommen? Du musst diese Baufirma verklagen, und zwar sofort. Die Schutzmaßnahmen …«
»Hör doch, Greg, mir geht’s gut. Ich hab eine böse Schramme am Knie …«
»Mein Gott! Warst du …«
»Ich war beim Arzt, um mir eine Tetanus-Impfung zu holen. Am Anfang stand ich unter Schock, aber jetzt geht’s mir wieder gut.«
Er sah, wie sie sich ein paar Strähnen hinters Ohr schob und an einem Niednagel knabberte. Alles klar, du kannst mir viel erzählen.
»Hallo, hörst du mich noch?«
»Ich bin da.«
Schweigen.
»Wer war der Typ, der hinter dir hergesprungen ist?«
Jetzt zuckte sie die Achseln. Strich mit dem Zeigefinger über einen Leberfleck an ihrem Oberarm. »Er hieß Adam, an viel mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich war ziemlich durch den Wind, da waren so viele Leute. Er hat gesagt, er ist ein guter Schwimmer und überlegt nicht lange, deshalb ist er kurzerhand reingesprungen.«
Sie log miserabel – gute Lügner hatten dafür ein Gespür, und er war einer der besten. Das passte alles hinten und vorn nicht. Eine fitte, gesunde Frau stürzte nicht einfach so in die Themse. Er schloss die Hand um einen Stressball und knetete ihn, um seiner anwachsenden Panik Herr zu werden.
»Geht’s dir gut, Schatz? Das ist eine verrückte Geschichte, ich weiß.«
»Mit wem warst du unterwegs?«
Er sah das Achselzucken, das verräterische Zögern.
»Ich war allein. Ich wollte einfach einen ruhigen Tag für mich. Schon komisch, wie die Dinge sich manchmal entwickeln.«
Gregs Fingerknöchel färbten sich weiß, so heftig bearbeitete er den Ball. Ihm schwirrte der Kopf vor Angst und Argwohn, und zugleich wusste er, dass diese Gefühle jederzeit in Wut umschlagen konnten. Wut darüber, dass es womöglich wieder passierte. Warum immer ihm? In seinem Mund sammelte sich Speichel. Er schluckte. Allmählich wurde er verrückt. Es hörte nicht auf. Immer wieder spielte die Vergangenheit ihm diesen Streich und lachte über seine Versuche, dem zu entgehen. Wie sehr er sich auch anstrengte, wie hart er auch arbeitete, wie entschlossen er jeden neuen Tag auch anging, es war immer da und verhöhnte ihn.
»Ich muss los, Nicky. Ich muss zum Set. Geht’s dir auch wirklich gut, ist alles okay?«
Sie nickte. Dann streckte sie einen Finger aus und berührte die kleine Kamera, und er tat das Gleiche.
»Ich liebe dich«, sagte er. »Mehr, als ich sagen kann. Du ahnst gar nicht, wie sehr.«
Sie sah traurig aus. Durcheinander. »Du fehlst mir.«
»Du mir auch.«
Greg sah zu, wie das Skype-Fenster schwarz wurde. Er verschränkte die Arme vor der Tastatur, legte den Kopf darauf und dachte nach über das seltsame Gespräch, das er mit seiner Frau geführt hatte. Die Kluft zwischen ihnen wuchs. In letzter Zeit waren all ihre Gespräche kurz. Oberflächlich. Ganz anders als am Anfang, als es noch neu gewesen war, dass seine Jobs sie immer wieder auseinanderrissen. Damals hatte sie die Skype-Verbindung stehen lassen, bis sie eingeschlafen war, hatte den Laptop neben sich auf das Kissen gestellt, so dass er ihr beim Einschlafen zusehen konnte. Sie hatten Telefonsex gehabt und Skype-Sex, und es hatte ihnen immer noch nicht genügt. Irgendwann im Verlauf ihrer gemeinsamen Reise hatten sie einander verloren, und wie bei so vielen anderen Dingen auch wusste er, dass das seine Schuld war.
Er saß vor dem schwarzen Bildschirm und ging das Gespräch noch einmal in allen Einzelheiten durch. Sie hatte nicht gesagt, dass sie ihn liebte. War das neu? Er musste sich schützen, sich Rückversicherungen holen, wo er nur konnte. Er war nicht religiös – lustiger Gedanke –, aber er schickte doch ein kleines Gebet zum Himmel. Schließlich griff er zum Telefon. Zögerte. Er war im Begriff, die unausgesprochenen Regeln, die ihrer Ehe zugrunde lagen, mit Füßen zu treten. Andererseits würde es nicht das erste Mal sein,
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