Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
dass er den Pfad der Anständigkeit verließ. Er wählte eine Londoner Nummer. Nach dem zweiten Klingeln wurde abgenommen.
»Wie komme ich zu dieser Ehre?«
»Bist du fröhlich, Liz, geht’s dir gut?«
»Du rufst mich immer nur an, wenn du was brauchst.«
»Du kennst mich eben.«
Sie schwieg, nicht gewillt, es ihrem Bruder leicht zu machen.
»Ach komm, Liz. Ich bin weit weg von zu Hause, und so ein schlechter Kerl bin ich nun auch wieder nicht.«
»Hast du getrunken?«
»Ich brauche Unterstützung.«
»Ach nee. Wusst’ ich’s doch.«
»Lass mich ausreden. Bitte, bitte, liebste Schwester.«
»Du bist so ein Scheißkerl!«
Aber er spürte, dass sie nachgeben würde. Liz war einsam, und bislang hatte das Leben ihre hoch gespannten Erwartungen nicht erfüllt.
»Ich mache mir Sorgen um Nicky.«
»Ach ja?« Das weckte ihr Interesse. Offenbar brannte sie darauf zu hören, dass sie Probleme hatten und Streit. »Wieso?«
»Ich möchte einfach sicher sein, dass es ihr gutgeht. Kannst du immer mal nach ihr schauen?«
Es trat eine Pause ein.
Dann sagte sie triumphierend: »Da musst du schon deutlicher werden.«
»Ich will einfach nur wissen, ob es ihr gutgeht.«
»Versuchst du gerade, mich auf deine Frau anzusetzen?« Ihr Ton war purer Sarkasmus.
»Bitte, Liz. Nur für kurze Zeit.«
»Was glaubst du eigentlich, was ich den ganzen Tag mache? Ich arbeite! Ich habe Dan …«
»Und mich! Du warst immer für mich da, Liz.«
»Lass diese Gefühlsduselei à la Hollywood, Greg – ich sitze in Südlondon! Mir kommt’s gleich hoch.«
»Bitte tu mir den Gefallen!«
Sie fluchte und murmelte: »Dafür bist du mir was schuldig.«
Nachdem er aufgelegt hatte, blieb er noch eine Weile sitzen, starrte aus dem Fenster und wartete darauf, dass die kalifornische Sonne ihm die düsteren Gedanken austrieb.
10
N ichts ist so anziehend wie ein Retter, befand Nicky. Sosehr sie sich auch dagegen gesträubt hatte, Adam war zum Helden avanciert, und ein Held ließ sich schwerlich ignorieren oder zurückweisen. Nach dem kurzen Besuch in der Notaufnahme, wo sie die Tetanus-Impfung bekommen hatte, hatte sie sich etwas Geld von Adam geliehen, um zu Maria zu fahren und sich ihren Ersatzschlüssel zu holen. Den Rest des Wochenendes hatte sie ausschließlich zu Hause verbracht und ihr Bad in der Themse sowie ihre Errettung wieder und wieder gedanklich durchgespielt.
Sie hatte erwogen, Bea anzuzeigen, den Gedanken jedoch schnell verworfen. Die Frau war der Mühe des damit verbundenen Papierkrams nicht wert, und was auch immer Bea im Sinn gehabt haben mochte, es war ein Unfall gewesen. Außerdem hatte sie viel konkretere Dinge zu klären gehabt: Ihre Tasche war verlorengegangen, und sie hatte den ganzen Tag am Telefon gehangen, um sich eine neue Identität zu beschaffen: Geldkarten, Bargeld, Make-up, Schlüssel.
Während sie noch damit beschäftigt gewesen war, hatte Adam sie per Mail für Mittwoch zu sich eingeladen – sein Vater war zu Hause, und wenn es Connie einigermaßen ging, würde sie sie kennenlernen.
Nach drei ereignislosen Arbeitstagen, während deren sie vergebens darauf gewartet hatte, dass der Polizeibericht zu ihrem Themse-Sturz an die Buchhaltung geschickt wurde und sie daraufhin ein neues Handy bekam, war sie nun auf dem kurzen Weg von der U-Bahn-Station Notting Hill Gate zu der angegebenen Adresse am südlichen Ende der Portobello Road. Es war ein warmer, sonniger Abend, und zum ersten Mal seit langem empfand sie eine besondere Spannung und Unruhe, freute sich darauf, etwas Neues kennenzulernen, interessanten Leuten zu begegnen, hinter Kulissen zu schauen.
Durch ein großes Tor gelangte sie auf den Kopfsteinpflasterweg, der von der Portobello Road abging und zu Lawrence Thorntons Wohnung führte. Eine Tür aus gebürstetem Stahl. Nicky klingelte, und gleich darauf kam jemand die Treppe heruntergepoltert. Die ausgebleichten Espadrilles saßen nur noch halb an Adams Füßen, und während er sie zur Begrüßung auf beide Wangen küsste, hüpfte er hin und her, um wieder hineinzuschlüpfen. In den paar Tagen, die sie ihn nicht gesehen hatte, war er noch brauner geworden, und das stand ihm gut.
»Komm rauf.«
Zwei Stufen auf einmal nehmend ging er voran, und sie folgte ihm in einen großen Wohnraum mit angeschlossener offener Küche. Eine ganze Front Schiebetüren führte zu einem riesigen Patio, hinter dem sich ein unglaublicher Blick auf den Sonnenuntergang über Westlondon eröffnete. An den mattweiß
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