Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
nicht die Hand heben und sie mir abwischen. Was passierte mit mir? Alles war so verwirrend in letzter Zeit. Diese fürchterlichen Dinge, die ich immer wieder sah. Die Schlangen zum Beispiel. Und dann Katrina, wie sich ihr Gesicht ständig veränderte. Die schrecklichen Dinge, die ich ihr in meiner Fantasie angetan hatte. Allein beim Gedanken daran flossen mir heiße Tränen übers Gesicht. Katrina! Wo war sie? Vielleicht hatte ich einen Unfall gehabt und war im Krankenhaus. Vielleicht saß sie nebenan in irgendeinem Wartezimmer und kam schier um vor Sorge, hoffte, ich würde wieder aufwachen.
»Katrina!«, schrie ich, so laut ich konnte. Aber sie kam nicht. Daraufhin flossen mir nur noch mehr Tränen übers Gesicht, bis ich weinte wie ein Baby. Meine Frau. Meine wunderschöne Frau. Ich brauchte sie so sehr. Ich schloss die Augen und beschwor sie herauf, stellte mir vor, dass sie die Hand auf meine Stirn legte und sagte, wie sehr sie mich liebte und dass ich natürlich nicht verrückt war.
Es waren die Haare des Mädchens, die Damien ausflippen ließen: ihre rotgoldene Farbe. Aber als Cynthia das begriffen hatte, war es bereits zu spät.
Sie waren in ein indisches Restaurant gegangen, um ein Curry zu essen: steife weiße Tischdecken, rosa Plüschtapeten und zur Krönung fluoreszierende Sterne an der Decke. Cynthia knabberte an einem Pappadam und nahm die sichlebhaft unterhaltenden jungen Frauen am Nebentisch nur vage war. Eine davon war ein hübsches Mädchen mit rotblondem Haar und einem Hauch Sommersprossen. Eine ihrer Freundinnen musste einen Witz gemacht haben, denn plötzlich legte sie den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Damien schaute sich um, und kaum hatte er sie erblickt, wich alle Farbe aus seinem Gesicht.
»Sie!« , sagte er heiser, in einem Ton, dass Cynthia Gänsehaut bekam. Diesen Ton hatte sie erst einmal bei ihm erlebt: als er auf ihren Hals gestarrt und ein Tuch gesehen hatte, das es gar nicht gab.
Sie beugte sich vor und legte ihre Hände über die seinen. »Schatz«, sagte sie sanft. »Alles in Ordnung?«
Aber anstatt zu antworten, sprang er auf. Und noch bevor Cynthia ihn aufhalten konnte, rannte er zum Nebentisch. Das kehlige weibliche Lachen verstummte abrupt, als Damien die Rotblonde an den Schultern packte und wie wild schüttelte. Der Kopf der Frau wurde vor- und zurückgeschleudert, so als nickte sie heftig.
»Es war nicht meine Schuld!«, schrie er ihr ins Gesicht. »Ich kann nichts dafür, dass wir beide in diesem Flugzeug waren. Sie haben mich doch darum gebeten. Sie wollten es doch! « Der letzte Satz war ein einziges schmerzerfülltes Heulen. Überall im Lokal erstarrten die Gäste mit weit aufgerissenen Augen. Zwei Kellner mit Fliege kamen aus der Küche gerannt, packten Damiens Arme und zogen ihn weg. Das Mädchen mit den rotgoldenen Haaren starrte ihnen nach, eine Hand an die Brust gepresst.
Cynthia eilte an Damiens Seite. »Es tut mir so leid!«, sagte sie zu dem Tisch mit den jungen Frauen, zu den Kellnern, zum gesamten Lokal. »Er … er muss Medikamente nehmen. Wahrscheinlich verträgt er sie nicht.« Eine lahme Entschuldigung, aber eine bessere fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. Und sie schien zu funktionieren, denn die Kellner tauschteneinen kurzen Blick und lockerten ihren Klammergriff. Cynthia zog ein paar Scheine aus ihrem Portemonnaie und warf sie auf den Tisch. Dann nahm sie ihren Freund an der Hand und trat den Spießrutenlauf quer durchs Lokal in Richtung Ausgang an.
Die kalte Nachtluft schien Damien wieder zur Besinnung zu bringen. Er blieb kurz auf dem Bürgersteig stehen, sah die stille Straße hinauf, als er versuchte, sich wieder zu fangen.
»Scheiße«, sagte er. »Ich fürchte, das war ein bisschen … gestört.«
»Ja. Ich glaube, wir sollten etwas mehr Abstand zwischen uns und das Restaurant bringen.«
Er nickte matt, und sie nahm erneut seine Hand, führte ihn über die Straße zu einem kleinen Park, der die neuen Beleuchtungsvorschriften noch nicht erfüllte. Eine einzelne Laterne erhellte ein rechteckiges Stück Rasen und einen Asphaltweg. An seinem schattigen Ende stand eine Bank. Sie nahmen nebeneinander darauf Platz. Damien starrte wortlos geradeaus.
»Du musst mir die Wahrheit sagen«, sagte Cynthia schließlich. »Du musst mir sagen, was dir zugestoßen ist. Denn dein Albtraum … liegt gar nicht in der Zukunft, stimmt’s? Sondern in deiner Vergangenheit. Es gab wirklich ein Flugzeug. Und dieses Mädchen hat dich an jemanden
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