Du sollst nicht sterben
später zurück und stinkt nach Zigaretten. Man riecht es immer, oder?« Sie schaute Ulla und Maurice an und nahm einen tiefen Schluck Sauvignon.
Garrys Bier wurde serviert. Er trank und dachte dabei, dass Ullas Haare noch verrückter aussahen als sonst und Maurice an diesem Abend einer Kröte besonders ähnlich sah. Es schien, als betrachtete er sie durch einen Zerrspiegel. Maurices schwarzes T-Shirt wölbte sich über seinem Bierbauch, die Augen quollen aus den Höhlen, und die teure, grauenhaft karierte Jacke mit den glänzenden Versace-Knöpfen saß viel zu eng. Sie wirkte, als hätte er sie von einem älteren Bruder geerbt.
Maurice nahm seinen Freund in Schutz. »Ich rieche nichts.«
Ulla schnüffelte wie ein läufiger Hund. »Nettes Parfum«, sagte sie ausweichend. »Aber ein bisschen feminin.«
»Chanel Platinum«, erklärte er.
Sie schnüffelte noch einmal, runzelte skeptisch die Stirn und sah Denise mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Wo zum Teufel bist du gewesen?«, wollte diese wissen. »Du siehst völlig zerzaust aus. Hättest du dich nicht wenigstens kämmen können?«
»Draußen bläst ein frischer Wind, falls du’s nicht bemerkt hast!«, entgegnete Garry. »Ich hatte es mit einem aufgebrachten Kunden zu tun, und wir sind dünn besetzt. Einer hatte Grippe, einer was anderes, und der pampige Mr Graham Lewis aus Steyning, dessen Alarmanlage grundlos anschlägt, droht damit, den Lieferanten zu wechseln. Also musste ich hinfahren und ihn beruhigen. Wie sich herausstellte, waren Mäuse schuld.«
Sie setzte ihr Glas an den Mund und kippte es, bevor sie merkte, dass es bereits leer war. Wie aufs Wort erschien ein Kellner mit einer neuen Flasche. Garry deutete auf sein eigenes Glas, wobei er sein Bier austrank. Er war mit den Nerven am Ende und brauchte noch einen Drink. Nein, mehrere.
»Prost!«
Maurice und Ulla hoben die Gläser. »Prost!«
Denise ließ sich Zeit. Sie funkelte ihn an. Sie glaubte ihm nicht.
Andererseits, wann hatte seine Frau ihm zuletzt etwas geglaubt? Er trank den trockenen Weißwein halb aus, was das Brennen an seinem Gaumen ein wenig linderte. Vermutlich hatte sie ihm seit dem Tag ihrer Hochzeit nichts mehr geglaubt.
Obwohl … selbst damals war er sich nicht sicher gewesen. Er wusste noch, wie sie ihn vor dem Altar angeschaut hatte, als er ihr den Ring über den Finger streifte und der Vikar ihnen das Ehegelöbnis vorsprach. Er hatte in ihren Augen nicht die Liebe gelesen, mit der er gerechnet hatte, sondern die Selbstzufriedenheit einer Jägerin, die mit einem erlegten Tier über der Schulter heimkehrt.
Fast hätte er einen Rückzieher gemacht.
Zwölf Jahre später wünschte er sich tagtäglich, er hätte es getan. Aber es hatte auch Vorteile, wenn man verheiratet war. Das durfte er nie vergessen.
Die Ehe machte einen respektabel.
48
Jetzt
Samstag, 10. Januar
»Ich habe mich mal an die Formulierung der Hochzeitseinladungen gemacht«, rief Cleo aus der Küche.
»Toll!«, sagte Roy Grace. »Soll ich mal einen Blick drauf werfen?«
»Wir gehen sie durch, wenn du gegessen hast.«
Der Termin war knapp angesetzt, wenn sie die Hochzeit noch vor der Geburt feiern wollten, doch ging es nicht früher, weil zunächst Sandy offiziell für tot erklärt werden musste, was einen Wust an Bürokratie bedeutete.
Humphrey lag zufrieden neben ihm auf dem Wohnzimmerboden, den Kopf auf der Seite, die Zunge hing halb heraus. Grace streichelte den weichen, warmen Bauch des glücklichen Geschöpfes, während im Fernsehen ein Labourpolitiker in den Zehn-Uhr-Nachrichten predigte.
Doch Grace hörte nicht zu. Er war in Gedanken noch bei der abendlichen Teambesprechung und der Arbeit, die er mit nach Hause gebracht und neben sich auf dem Sofa ausgebreitet hatte. Vor allem dachte er an die Ähnlichkeiten zwischen dem Fall von damals und dem neuen Täter. Viele unbeantwortete Fragen gingen ihm durch den Kopf.
Wo hatte er in den vergangenen zwölf Jahren gesteckt, falls es sich tatsächlich um den Schuh-Dieb handelte? Oder warum hatte er, sofern er in der Stadt geblieben war, seine Taten eingestellt? War es möglich, dass es weitere Opfer gab, die keine Anzeige erstattet hatten?
Grace bezweifelte, dass der Mann zwölf Jahre lang Frauen hatte vergewaltigen können, ohne dass sich auch nur eine von ihnen bei der Polizei meldete. Bislang gab es in der nationalen Datenbank keine weiteren Vergewaltigungsfälle mit einer ähnlichen Vorgehensweise. Natürlich könnte der Mann ins Ausland gegangen
Weitere Kostenlose Bücher