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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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gerade ein Auto angehalten. Der Himmel ist heller geworden. Ich muss von der Straße weg, in diesem Overall falle ich viel zu schnell auf. Also biege ich in die nächste Gasse ein und verstecke mich in dem schmalen Gang zwischen zwei wuchtigen Ziegelbauten.
    Ich brauche andere Kleidung. Medikamente, Kleidung und Geld. Eigentlich könnte ich nach Hause gehen und das alte Clonazepam holen, das ich nicht genommen habe, aber das ist wohl zu gefährlich. Wahrscheinlich überwacht die Polizei das Haus. Und so oder so würde mich mein Vater jederzeit ans Messer liefern. Die Rückkehr ist mir also verwehrt. Aber wohin sonst?
    Wo kann man Drogen auf der Straße kaufen? Ver­mutlich in der Nähe einer Highschool, aber so, wie ich aussehe, kann ich mich dort nicht blicken lassen. Vielleicht der Parkplatz hinter einer Schule? Vor einer Bank steht eine große elektronische Reklametafel. Es ist acht Uhr morgens, der Unterricht hat schon begonnen. Beobachtet mich die Tafel? Ich schüttle den Kopf und gehe weiter.
    Als ich endlich eine Schule entdecke, habe ich das Gefühl, schon seit Stunden umhergelaufen zu sein. Es ist ein hohes Gebäude aus braunen Ziegelsteinen inmitten eines Dickichts kleinerer Häuser. Gegenüber liegt ein eingezäuntes Spielfeld mit welkem gelbem Gras. Der Parkplatz ist zu klein, viele Fahrzeuge stehen in beiden Richtungen am Bordstein. Cops entdecke ich nirgends, aber vermutlich sind sie nicht weit. In meiner eigenen Highschool hielten sich dauernd Cops auf, und diese Schule gleicht einem Ghetto. Ich habe Drogen und Drogendeals gesehen, aber noch nie etwas gekauft und weiß nicht, wie ich so etwas anfangen soll. Langsam wandere ich die Straße entlang und präge mir alles genau ein. Hier und dort entdecke ich Menschen im Schatten. Manche sitzen in Autos, andere hocken auf den Treppen vor den Häusern, einige sind Kinder, einige Erwachsene. Ich habe zu große Angst, um jemanden anzusprechen. Womit will ich überhaupt bezahlen? Vielleicht kann ich wenigstens den Preis herausfinden und später zurückkommen. Was ist, wenn ich verhaftet oder erschossen werde? Was antworte ich, wenn jemand wissen will, was ich hier zu suchen habe?
    Ich umrunde den Block, schlendere umher und überlege mir dabei, wie ich vorgehen soll. Soll ich betont selbstbewusst auftreten? Oder wäre das schon zu aggres­siv? Wenn ich mich zurückhaltend und nicht bedrohlich zeige, könnte ich für einen Schwächling gehalten werden. Eigentlich egal, ob man mich zu berauben versucht – ich besitze nichts Stehlenswertes. Ich sollte hier verschwinden. Noch einmal umrunde ich langsam den Block und beobachtete im Vorbeigehen die Leute, ohne den Blickkontakt zu suchen. Die Drogendealer, die ich auf der Highschool gesehen habe, waren meist etwas älter. Viel älter sogar – dreißig bis vierzig Jahre alt. Erfahrene Gangster, die schon seit Jahren im Geschäft waren. Ich bin ängstlich und nervös, in der Brust flattert ein gefangener, erregter Vogel. Ich schaffe es nicht.
    Außerdem habe ich Hunger, denn ich habe das Frühstück ausgelassen. Ich gehe weiter, bis ich ein Lokal finde, und zähle das Kleingeld ab.
    »Was bekomme ich für zwei Dollar fünfundzwanzig?«
    »Eine Tasse Suppe.«
    »Danke.« Die Kellnerin bringt mir die Muschelsuppe, die ich langsam trinke, um mir die Zunge nicht zu verbrennen. Es sind noch einige andere Gäste im Lokal, die jedoch alle nicht nach Cops oder Drogendealern aus­sehen. Sind Gesichtslose darunter? Können sie sich auch vor mir verbergen, wenn ihnen dies bei anderen gelingt? Könnte nicht jeder, den ich sehe, einer von ihnen sein und ein gewöhnliches Gesicht wie eine Maske tragen? Ich weiß es einfach nicht. Nach einer Weile verlasse ich das Lokal und kehre zur Schule zurück, beobachte weiter und bleibe immer in Bewegung. In einem Fenster entdecke ich einen alten Mann, auf der Treppe sitzt ein kleines Mädchen. Wer beobachtet mich?
    Um elf Uhr ist große Pause, rings um die Schule tummeln sich Schüler, redend, essend und rauchend. Die Hälfte telefoniert oder verschickt Kurznachrichten. Ich weiche in eine Seitenstraße aus, um Abstand zu den Handys zu halten.
    Die Stadt summt vor Energie, die beißenden elektromagnetischen Felder sausen durch die Luft – Fernsehen, Radio, Handys, WLAN , es summt und brummt und prickelt im Kopf. Ein unbestimmter Schmerz erwacht. Die zackigen Tentakel der Gedanken. Stimmen aus einer ande­ren Welt.
    Um kurz vor drei kehre ich zur Schule zurück. Ich bin hundemüde und

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