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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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wie sie war.
    Als ich nach Hause kam, war meine Mutter gerade dabei, Nihal das Rezept für Ossobuco zu erklären. Ich setzte mich, machte die Besteckschublade auf und zu und sagte: »Alessia Roncato hat mich zum Skifahren nach Cortina eingeladen.«
    Meine Mutter sah mich an, als hätte ich ihr gesagt, dass mir Hörner gewachsen wären. Sie setzte sich, holte tief Luft und stammelte: »Wie ich mich freue, Schatz.« Und sie umarmte mich ganz fest. »Das wird sicher toll. Entschuldige mich einen Moment.« Sie stand auf, lächelte mich an und schloss sich im Bad ein.
    Was war mit ihr los?
    Ich legte ein Ohr an die Tür. Sie weinte und zog ab und zu die Nase hoch. Dann hörte ich, dass sie das Wasser aufdrehte und sich das Gesicht wusch.
    Was war denn los?
    Sie telefonierte mit dem Handy. »Francesco, ich muss dir etwas erzählen. Unser Sohn ist in die Skiferien eingeladen worden … Ja, in Cortina. Siehst du, dass wir uns keine Sorgen machen müssen … Stell dir vor: Vor Freude musste ich weinen wie eine Blöde. Ich habe mich im Bad eingeschlossen, damit er es nicht merkt …«
    Ein paar Tage lang versuchte ich, meiner Mutter zu sagen, dass es eine Lüge war, dass ich nur Quatsch gemacht hatte, aber sie war so glücklich und begeistert, dass ich mich geschlagen gab, mit dem Gefühl, einen Mord begangen zu haben.
    Das Problem war nicht, ihr zu sagen, dass ich alles erfunden und niemand mich irgendwohin eingeladen hatte. Das war demütigend, doch ich hätte es ertragen können. Nicht ertragen hätte ich aber die Frage, die mit Sicherheit gefolgt wäre.
    »Lorenzo, warum hast du mir denn diese Lüge erzählt?«
    Auf diese Frage gab es keine Antworten.
    Nachts in meinem Zimmer versuchte ich eine zu finden.
    »Weil …«
    Es war, als wäre mein Gehirn plötzlich blockiert.
    »Weil ich ein Arschloch bin.« Das war die einzige Antwort, die ich mir geben konnte. Aber ich wusste, dass sie nicht ausreichte, darunter lag etwas, von dem ich nichts wissen wollte.
    Und so ließ ich mich am Ende von der Strömung forttragen und begann selbst daran zu glauben. Ich erzählte sogar dem Cercopithecus von den Skiferien. Ich wurde immer überzeugender und reicherte die Geschichte mit Einzelheiten an. Mit dem Hubschrauber würden wir zu einer Hütte ins Hochgebirge fliegen.
    Ich machte ihnen eine Szene, bis sie mir Ski, Skischuhe und eine neue Jacke kauften. Und im Laufe der Zeit begann ich zu glauben, Alessia hätte mich wirklich eingeladen.
    Wenn ich die Augen schloss, sah ich sie näher kommen. Ich machte gerade die Kette vom Moped, und sie schaute mich aus ihren blauen Augen an, fuhr sich mit den Fingern durch den blonden Pony, stellte einen Nike auf den anderen und sagte: »Hör mal, Lorenzo, wir gehen mit ein paar Leuten Ski laufen, willst du mitkommen?«
    Ich dachte kurz darüber nach und antwortete ruhig: »Okay, ich komme mit.«
    Dann, eines Tages, als ich in meinem Zimmer war und die neuen Skistiefel trug, fiel mein Blick auf den Türspiegel des Kleiderschranks, und ich sah ein Jüngelchen in Unterhosen, weiß wie ein Wurm, mit Beinen, die wie Stöcke aussahen, mit ein paar wenigen Haaren darauf, mit einer Hühnerbrust und diesen lächerlichen roten Dingern an den Füßen, und nach einer halben Minute, in der ich mit halb offenem Mund dieses Jüngelchen anstarrte, sagte ich zu ihm: »Wo fährst du hin?«
    Und das Jüngelchen im Spiegel antwortete mir mit einer seltsam erwachsenen Stimme: »Nirgendwohin.«
    Ich warf mich samt Skistiefeln und mit dem Gefühl aufs Bett, jemand hätte eine Tonne Schutt auf mir abgeladen. Ich sagte mir, dass ich keine Ahnung hätte, wie ich aus diesem Schlamassel, den ich angerichtet hatte, wieder herauskommen sollte, und dass ich mich, sollte ich auch nur noch ein einziges Mal der Versuchung nachgeben und glauben, dass Alessia mich eingeladen hatte, aus dem Fenster stürzen würde und amen und bye-bye und arrivederci und vielen Dank.
    Das war der einfachste Weg. Ich hatte doch sowieso ein Scheißleben.
    »Schluss! Ich muss ihr sagen, dass ich nicht fahren will, weil Nonna Laura im Krankenhaus ist und an Krebs stirbt.« Ich zauberte eine todernste Stimme hervor, schaute zur Decke und sagte: »Mama, ich habe beschlossen, nicht mit Ski fahren zu gehen, weil es Nonna so schlecht geht. Was ist, wenn sie stirbt und ich bin nicht da?«
    Das war eine ausgezeichnete Idee … Ich zog die Skistiefel aus und tanzte durchs Zimmer, als hätte der Fußboden angefangen zu glühen. Ich sprang aufs Bett und von dort auf

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