Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
mich schon, wenn ich mich an irgendetwas nicht erinnern kann, aber ich versuche auch nicht mehr, mir die Pulsadern aufzuschneiden. ›Das Programm‹ hat funktioniert. Ob zum Besseren oder Schlechteren, bin ich mir allerdings noch nicht sicher«, fügt sie hinzu. Sie senkt den Blick, und Bedauern und auch ein Hauch von Traurigkeit spiegeln sich auf einmal in ihrem Gesichtsausdruck wider.
Ich schaue schnell zu Kevin hinüber, in der Hoffnung, dass er diese Veränderung bei Lacey nicht bemerkt hat, doch er beobachtet uns. Garantiert ist es ihm aufgefallen.
»Ich hab da einen Typ kennengelernt, während ich im ›Programm‹ war«, erzähle ich und lasse aus, wie kompliziert die Beziehung zwischen Realm und mir war, um es mehr nach unverbindlichem Klatsch klingen zu lassen.
»Echt?« Das Lächeln kehrt auf Laceys Lippen zurück. »Das ist ja skandalös, Sloane! Wart ihr ein Paar?«
»Nein, nur Freunde.« Lacey kraust die Nase, als würde sie das enttäuschen. »Aber«, füge ich hinzu, »aber er war die Art von Freund, die ich gern mal küssen würde.«
Es klingelt, und ich richte mich auf, froh, dass es mir gelungen ist, Lacey aus ihren grüblerischen Gedanken zu reißen.
Sie lächelt mich an.
»Ich muss gehen«, meint sie und steht auf. »Meine Chemielehrerin macht mir eh schon die Hölle heiß, weil ich den Stoff noch nicht aufgeholt hab. Aber vielleicht kapiert sie irgendwann doch, dass ich Naturwissenschaften hasse und nicht vorhabe, überhaupt je aufzuholen.« Sie seufzt, dann winkt sie mir noch einmal zu, bevor sie geht.
Ich warte noch einen Moment, denke immer noch über das nach, was Lacey mir erzählt hat: dass wir ständig überwacht werden. Und dass niemand uns erzählt, wer wir früher einmal waren. Ich dachte, einen drogenfreien Kopf zu haben, würde mir helfen, ein paar Dinge in Erfahrung zu bringen, aber stattdessen ist alles nur noch verwirrender geworden.
In diesem Moment erscheint Kevin an meinem Tisch.
»Überwachst du mich auch dann, wenn ich nichts davon bemerke?«, will ich wissen.
»Ja.«
Wie winzige Nadelstiche trifft mich diese Erkenntnis, und ich nicke nur, als Zeichen, dass ich ihn verstanden habe. Ich komme mir so hilflos vor.
»Aber«, fährt er fort, »ich versuche zu übersehen, wenn du die Regeln brichst – zum Beispiel, wenn du aus dem Wellness Center verschwindest, wenn du denkst, ich würde nicht aufpassen.«
»Oh.« Ich fühle mich ertappt, aber es bestätigt mir auch, dass Kevin nicht zu den »Bösen« gehört. Nun ja, zumindest soweit ich das beurteilen kann. Schließlich hat Realm ihn zu mir geschickt, und von daher sollte ich ihm vertrauen. Ich sollte Realm vertrauen.
4. Kapitel
Kaum bin ich nach der Schule nach Hause gekommen, renne ich in mein Zimmer und beginne zu suchen. Der Raum sieht noch fast genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe, außer vielleicht ein bisschen sauberer. Obwohl ich weiß, dass einige Dinge fehlen, weiß ich nicht, welche es sind. Ich ziehe Schubladen auf, schiebe die neuen Kleider in meinem Schrank zur Seite, doch nirgendwo findet sich ein Hinweis darauf, dass ich jemals soziale Kontakte hatte. Entweder war ich ein Niemand, oder alle Leute, mit denen ich zu tun hatte, wurden aus meinem Leben gelöscht.
»Verdammt!«, sage ich, als ich die Tür meines Kleiderschranks zuknalle. Ich wollte doch nur einen Hinweis darauf – einen klitzekleinen Hinweis –, wie ich früher war. Während ich mich gründlich umschaue, ob ich vielleicht doch etwas übersehen habe, höre ich meine Mutter unten nach mir rufen.
»Sloane! Abendessen!«
Ich gehe zur Tür, aufgebracht darüber, dass ich nicht einmal das Geringste entdeckt habe, nicht einmal ein Foto. Es ist, als ob jemand hier hereingekommen wäre und alles weggewischt hätte. Was mir aber am meisten zu schaffen macht, ist die Vorstellung, dass ich überhaupt so krank war, dass man mich wegschaffen musste. Es kommt mir vollkommen unmöglich vor.
Meine Mutter und ich sind allein, weil Vater länger arbeiten muss. Ich stochere in meinen Bratkartoffeln herum. Ich will meine Mutter nach meiner Vergangenheit fragen, aber ich habe Angst, dass sie mir nichts erzählen wird. Oder dass sie es doch tun könnte. Was ist, wenn es mich tatsächlich wieder krank macht, wenn ich Bescheid weiß?
»Wie war’s in der Schule?«, erkundigt sie sich. »Hast du dich gut eingewöhnt?«
»Ziemlich gut, denke ich.« Ich kaue bedächtig. »Mom, was ist mit all meinen Klamotten passiert?«
»Wir haben dir neue
Weitere Kostenlose Bücher