Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
gekauft. Gefallen sie dir nicht?«
»Doch, die sind in Ordnung. Ich hab mich nur gefragt, was ich früher angezogen habe.«
»Mehr oder weniger das Gleiche. Aber Dr. Warren hat uns geraten, dir neue Kleidung zu kaufen, um dir einen Neubeginn zu ermöglichen. Wenn du sie nicht magst, können wir ja mal nach der Schule zusammen shoppen gehen.« Sie lächelt. »Wär doch nett, oder?«
Ein Neubeginn . Mein Herz beginnt zu rasen. »Super«, erwidere ich halbherzig. »Ich hab mich nur gefragt …« Ich schlucke. »Würdest du mir antworten, wenn ich wissen wollte, ob ich jemals einen festen Freund hatte?«
Meine Mutter zeigt keine sichtbare Reaktion. Sie schneidet ein Stück von ihrem Hähnchen ab. »Natürlich, Schatz«, sagt sie, ohne aufzuschauen. »Du bist mit einigen Jungs ausgegangen, doch es war nie etwas Ernstes.«
»Oh.« Ich könnte nicht erklären, wieso, aber ihre Antwort bewirkt, dass ich mich schlecht fühle. »Und sonstige Freunde?«, bohre ich weiter.
Meine Mutter wirkt auf einmal gereizt. »Was soll das, Sloane? Du solltest dich um die Gegenwart kümmern, nicht um deine Vergangenheit.«
»Du hast recht«, sage ich, nur um die Falte zwischen ihren Augenbrauen verschwinden zu lassen. Wir essen weiter, doch nach einem Moment frage ich lächelnd: »Weißt du irgendetwas über einen James Murphy?« Ich schneide mir einen Bissen ab.
Meine Mutter blickt mich an. »Nein. Ist er ein Klassenkamerad von dir?«
»Wir haben Mathe zusammen, und meine Freundin meinte, dass er ein paar Wochen vor mir ins ›Programm‹ kam. Er scheint eine Art schwarzes Schaf zu sein.« Ich lache.
Meine Mutter nickt und lächelt mich freundlich an. »Dann sollte das Grund genug für dich sein, dich von ihm fernzuhalten, nicht? Das Letzte, was du so kurz nach deiner Rückkehr gebrauchen kannst, sind weitere Probleme. Du musst dich immer daran erinnern, dass es dir nicht gutging und du jetzt geheilt bist. Man erwartet von dir nicht, dass du dich in deiner Vergangenheit vergräbst, sondern dass du dich auf die Gegenwart konzentrierst.«
»Ich vergrabe mich in nichts«, erwidere ich, und meine Wangen röten sich, weil sie mich zurechtgewiesen hat. »Weil ich nämlich keine Vergangenheit habe. Kannst du nicht verstehen, wie verwirrend das ist?«
»Ich bin sicher, dass es das ist. Aber sie haben die Erinnerungen entfernt, die verdorben waren. Und wenn du weiterhin in deinen Gedanken herumwühlst, dann wird dir die Realität entgleiten. Die Ärztin hat uns gesagt …«
»Woher willst du wissen, dass sie mir nur die schlechten Erinnerungen weggenommen haben?«, frage ich herausfordernd. »Ich kann mich an gar nichts erinnern. Ich weiß nicht einmal, was mit Brady passiert ist, nur dass er nicht mehr lebt. Was ist mit ihm passiert?«
»Er ist ertrunken«, antwortet meine Mutter schlicht, als ob das eine ausreichende Erklärung wäre. Doch das wusste ich bereits. Dr. Warren hat es mir in einer der Therapiesitzungen erzählt. Aber niemand hat mir irgendwelche Einzelheiten gesagt.
»Wie?«
»Sloane!«, sagt Mutter warnend.
»Wer sagt denn, dass sie wirklich nur das ausgelöscht haben, was sie auslöschen sollten?«, frage ich. »In meinem Leben gibt es so viele Lücken und …«
»Die Diskussion ist beendet«, sagt meine Mutter schroff. Wir schauen uns an, und ich erkenne, dass sie voller Panik ist. »Du hast versucht, dir das Leben zu nehmen, Sloane. Sie haben uns erzählt, dass du auch im ›Programm‹ widerspenstig warst. Wir hätten dich verlieren können, genau wie wir deinen Bruder verloren haben. ›Das Programm‹ hat dich am Leben erhalten, und für mich ist das eine Gnade. Sämtliche Unannehmlichkeiten, die du jetzt noch empfinden magst, werden sich bald geben. Aber wenn du es nicht ertragen kannst, dann sollten wir uns vielleicht mit deiner Ärztin in Verbindung setzen und fragen, ob es nicht eine weitere Behandlungsmöglichkeit für dich gibt. Ich kann das alles nicht noch einmal durchmachen.« Sie beginnt zu weinen. »Ich kann es einfach nicht.«
Mutter schiebt den Stuhl zurück, lässt ihr kaum angerührtes Essen stehen und verschwindet in ihrem Schlafzimmer.
Ich fühle mich schuldig, als ob ich bloß ein Problem bin, das stets von Neuem auftritt.
Und so werfe ich meine Serviette hin und ziehe mich nach oben in mein Zimmer zurück.
Eine Stunde später klopft meine Mutter an meine Tür und fragt, ob sie mit mir reden kann. Ich lasse sie herein, schäme mich immer noch, dass ich sie so aufgeregt habe. Sie sieht
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