Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
Gesundheit besorgt ist, und dies sei seine Priorität.
James Murphy sitzt auf dem Platz neben mir, hört aufmerksam der Lehrerin zu. Ich senke den Kopf, lasse mein Haar nach vorn fallen, damit es die rechte Seite meines Gesichts verdeckt, sodass ich James durch den Vorhang meines dunklen Haars beobachten kann.
Die Narben auf seinem Arm zeigen merkwürdige Zickzacklinien. Ich kann mir nicht vorstellen, was eine solche Verletzung verursacht haben könnte, und auch nicht, warum sie nicht hässlich wirken und weiß sind statt rosa wie sonst. Ob er sich verbrannt hat?
James sieht zu mir herüber, bemerkt, dass ich auf seinen Arm gestarrt habe. Sein Gesicht zeigt keine Regung. Dann blickt er wieder nach vorn, als ob er mich überhaupt nicht bemerkt hätte. Ich schlucke.
Ich wende mich erneut meinem Schreibblock zu, schreibe ein paar Aufgaben von der Tafel ab. Ich werfe einen Blick zu Kevin hinüber, der in einen Tagtraum versunken aus dem Fenster sieht. Wieder spähe ich zu James hin, denn dass er mich ignoriert, weckt meine Neugier erst recht. Und obwohl ich ihn nicht abschätzend mustere, stelle ich doch fest, wie attraktiv er ist – ich meine, das kann man nun nicht wirklich übersehen.
Er ist nicht extra gestylt, das Kinn unrasiert, die Stoppeln ein wenig dunkler als seine Haare. Als mein Blick auf seinen Mund fällt, registriere ich, dass ein feines Lächeln auf seinen Lippen liegt, obwohl er immer noch stur nach vorn schaut.
Dann beugt sich James vor, blättert eine Seite in seinem Block um und schreibt schnell etwas auf das Blatt.
Ich beobachte, wie er den spiralgebundenen Block zu mir herüberschiebt, dabei immer noch angestrengt nach vorn starrend. Ich bin nicht sicher, was er damit bezweckt, als er leise mit dem Finger auf das Blatt tippt.
Und dann begreife ich plötzlich, dass er will, dass ich lese, was er geschrieben hat. Ich beuge mich leicht zur Seite.
Wieso starrst du mich so an?
Er wirft einen Blick in meine Richtung, und ich spüre, wie ich vor Verlegenheit ganz rot werde. Ich zucke mit den Schultern.
James nickt, schreibt erneut etwas auf das Blatt.
Ich krieg ja schon Komplexe.
Ich versuche, mein Lachen zu ersticken, indem ich meinen Mund mit der Hand bedecke. Fast die halbe Klasse dreht sich bei diesem Laut nach mir um, aber James wirkt wie die Unschuld in Person, schlägt hastig die ursprüngliche Seite auf und faltet die Hände.
»Gibt es ein Problem, Sloane?«, fragt die Lehrerin. Innerhalb von Sekunden steht Kevin neben meinem Tisch. Er wirkt besorgt.
»Nein«, versichere ich. »Tut mir leid. Ich habe mich nur an meinem Kaugummi verschluckt.«
»Vielleicht sind deshalb Kaugummis im Unterricht nicht erlaubt«, erwidert sie, offensichtlich verärgert über die Unterbrechung.
»Alles wieder okay?«, flüstert Kevin. »Sollen wir nach draußen gehen, damit du besser Luft bekommst?«
»Ist nicht nötig«, sage ich sofort. »Mir geht’s gut. Wirklich.«
Kevin betrachtet James mit einem nervösen Blick, dann geht er nach vorn und unterbricht die Lehrerin mitten im Satz. Ich wage es nicht, zu James hinzusehen, aber ich fühle, dass er mich beobachtet.
»Natürlich«, sagt die Lehrerin zu meinem Betreuer. »Sloane, würdest du dich bitte nach vorn setzen?«
Ich raffe schnell meine Sachen zusammen und suche mir einen freien Platz schräg vor dem Lehrerpult, bleibe dort bis zum Ende des Unterrichts sitzen und fühle mich irgendwie gedemütigt. Und vielleicht auch ein bisschen besonders.
Nach dem Unterricht nimmt mich Kevin beiseite. »Was war da eben los?«, will er wissen und sieht mich eindringlich an.
»Ich musste lachen. Das war alles.« Es gefällt mir nicht, dass er so neugierig ist, doch dann sage ich mir, dass ein normaler Betreuer viel strenger nachforschen würde als Kevin.
»Kennst du James Murphy näher?«, will er wissen.
»Nein.«
Kevin atmet erleichtert aus und richtet sich auf. »Dann sollte das auch so bleiben, Sloane. James gehört nicht zu der Sorte Jungen, die du näher kennenlernen möchtest. Ich kann dich nicht beschützen, falls du diesen Weg einschlägst.«
»Und welcher Weg wäre das?«
»Der Weg der Selbstzerstörung. Versprich mir, dass du dich von James fernhalten wirst. Bitte!«
Ich mag es nicht, wenn man mir vorschreiben will, mit wem ich zusammen sein darf und mit wem nicht. Aber Kevin sieht mich so flehend an, dass ich nicke, obwohl ich weiß, dass ich dieses Versprechen nur schwer halten kann.
5. Kapitel
Lacey hat es sich zur Angewohnheit
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