Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
anderes, etwas, was mir den Magen zuschnürt. Er will mich mitnehmen.
»Ich hatte heute bereits eine Therapiestunde«, erwidere ich und trete einen Schritt zurück.
Er lacht. »Das ist keine Therapie. Folg mir bitte.« Er geht an mir vorbei, und mir steigt dieser Medikamentengeruch der Betreuer in die Nase. Ich frage mich unwillkürlich, ob er irgendein Mittel bei sich hat, eins, mit dem er mich außer Gefecht setzen kann, wie sie es manchmal tun, wenn sie jemanden mitnehmen, um ihn ins »Programm« zu bringen. Oder er könnte den Taser benutzen, der an seinem Gürtel hängt .
Ich taste nach dem Handy in meiner Hosentasche, doch ich wage es nicht, James eine Nachricht zu schicken. Er darf auf keinen Fall auffallen. Aber dann überlege ich, ob sie ihn sich vielleicht schon vorgeknöpft haben. Hoffentlich nicht. In seinem Zustand würde er so ein Verhör nicht durchstehen.
Das ist so üblich nach einem Selbstmord. Wir alle werden zu Beratern geschickt, damit sie sich vergewissern können, dass wir okay sind. Einige jedoch, diejenigen, die mit einem solchen Verlust nicht besonders gut klarkommen, werden darüber hinaus speziellen Befragungen unterzogen. Doch nur selten führt ein Betreuer solche Interviews.
Ich fühle mich unwohl, weil mich dieser Typ beobachtet, seit sie Kendra geholt haben. Aber ich habe keine Wahl, und so folge ich ihm in den Verwaltungstrakt.
Ein kleiner Raum steht uns zur Verfügung. Zwei Stühle, einander gegenüber aufgestellt. Ich schlucke meine Furcht herunter, als ich das düstere Zimmer betrete, aber ich verabscheue den Gedanken, mit diesem Kerl allein zu sein.
»Setz dich bitte«, fordert mich der Betreuer auf, dann schließt er die Tür hinter uns und zieht die Vorhänge zu. Ich habe entsetzliche Angst, doch ich weiß, dass ich sie mir nicht anmerken lassen darf. Tief hole ich Luft und nehme dann Platz.
»Das ist wirklich nicht notwendig«, sage ich und versuche, wie ein ganz normales Mädchen zu klingen. »Ich habe Miller nicht besonders nahgestanden.«
Der Betreuer lächelt bei dieser Behauptung und setzt sich mir gegenüber hin. Seine Knie in der weißen Hose berühren meine fast. Ich versuche, nicht vor ihm zurückzuzucken.
»Wirklich?«, fragt er, obwohl er offensichtlich die Antwort kennt. »Nun, wie war es dann mit Lacey Klamath? Oder deinem Bruder? Hast du ihnen auch nicht nahegestanden?«
Ich muss merklich blasser geworden sein, als er Brady erwähnt, denn er neigt den Kopf, als wolle er sich entschuldigen. »Sloane, wir haben die Befürchtung, dass du einem hohen Risiko ausgesetzt bist. Du hast in der letzten Zeit einige schwere Verluste erlitten, und daher möchte ich eine Beurteilung erstellen.«
Er lügt. Er will mich mitnehmen. Wir selbst sind ihnen doch völlig egal, das Einzige, was sie interessiert, sind die Ergebnisse, die sie präsentieren können. Ich rolle meine Zehen zusammen, während er seinen Blick langsam über mich wandern lässt. Er verursacht mir eine Gänsehaut.
»Fangen wir mit Miller an. Du warst nicht in der Stadt, als er sein Leben beendet hat. Ist das korrekt?«
»Ja.« Ich hasse ihn dafür, dass er das so gefühllos klingen lässt.
»Und Lacey war deine beste Freundin. Du willst nicht bemerkt haben, in welchem Zustand sie sich befand, bevor sie ins ›Programm‹ gebracht wurde? Du versuchst doch nicht, irgendetwas vor uns zu verbergen?«
»Nein. Ich hatte nicht die geringste Ahnung.« Und dann kann ich spüren, was folgen wird.
»Und du verbirgst auch jetzt nichts vor uns?«
»Nein.« Ich schaue ihm in die Augen, versuche, meinen Gesichtsausdruck so neutral wie möglich zu halten. Ich stelle mir vor, dass ich ein Roboter bin. Leer von allen Gefühlen. Leer von allem Leben.
»Hast du einen Freund, Sloane?« Er zieht den Mundwinkel hoch, als wäre er irgendein Typ, den ich gerade kennengelernt habe und der mit mir zu flirten versucht.
»Ja.«
»James Murphy?«
O Gott! »Hmm.«
»Und wie geht es ihm?«
»James geht es gut. Er ist stark.«
»Bist du stark?«, will er wissen und legt den Kopf schief, während er mich betrachtet.
»Ja.«
Der Betreuer nickt. »Es ist unser Anliegen, deine Gesundheit zu erhalten, Sloane. Das weißt du doch, oder?«
Ich antworte nicht, überlege, wie James bei diesen Fragen reagieren wird. Ob sie ihn nicht schon auf den ersten Blick durchschauen und merken, dass er sich angesteckt hat.
»Man kann sich freiwillig in die Obhut des ›Programms‹ begeben, wenn man das Gefühl hat, dass einem alles zu
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