Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
viel wird. Oder wenn du jemanden brauchst, mit dem du reden kannst.« Er streckt die Hand aus und tätschelt meinen Oberschenkel.
Er hat mich kalt erwischt, und ich zucke unwillkürlich zusammen.
Der Betreuer steht auf und geht an mir vorbei, als wolle er den Raum verlassen. Doch stattdessen bleibt er hinter mir stehen, legt seine Hand auf meine Schulter. Drückt fest zu.
»Genieß den Tag, Sloane. Aber irgendetwas sagt mir, dass ich dich bald wiedersehen werde.«
Dann nimmt er seine Hand weg und geht hinaus. Lässt mich allein in dem abgedunkelten Raum zurück.
Ich renne in die Schul-Cafeteria, und grässliche Angst nagt an mir, James könne nicht da sein. Dann bleibe ich abrupt stehen, schwanke vor Erleichterung, als ich ihn an unserem Tisch sitzen und Orangensaft aus einer Packung trinken sehe.
»Alles klar mit dir?«, will ich wissen, als ich praktisch auf seinem Schoß zusammenbreche und meine Arme um ihn schlinge. Er erwidert meine Umarmung nicht, doch er schiebt mich auch nicht weg. Ich presse mein Gesicht an seinen Hals.
»Ja, alles klar«, sagt er ruhig.
Ich lehne mich zurück, schaue ihm ins Gesicht und versuche abzuschätzen, wie weit die Ansteckung fortgeschritten ist. Er ist blass, und seine Mundwinkel hängen herab, als hätte er vergessen, wie man lächelt.
Ich streichle mit meinen Fingern über seine Wange, und er schließt die Augen. »Ich hab mir solche Sorgen gemacht«, flüstere ich.
Er rührt sich nicht, und ich nehme ihn erneut in meine Arme, halte ihn ganz fest. Und wünsche mir, er wäre es, der mich so halten würde, doch er tut es nicht.
Schließlich lasse ich ihn los, und er beginnt zu essen, nimmt alles in kleinen Bissen zu sich. Er starrt in die Cafeteria, doch sein Blick hat kein Ziel. Und er starrt an mir vorbei.
»Hat dich irgendjemand heute befragt?«, will ich wissen.
James schüttelt den Kopf.
»Sie haben mich nach dem Unterricht abgepasst«, erzähle ich.
James sieht mich an. »Was ist passiert?«
»Sie haben mich über Miller ausgefragt. Und über dich …«
Er reagiert nicht darauf, widmet sich wieder seinem Essen. Ich vermisse ihn so sehr, obwohl er direkt vor mir sitzt. Er ist nicht mehr derselbe.
»Mit mir hat niemand gesprochen«, sagt er. »Ich hab bis jetzt auch nirgends einen Betreuer gesehen.«
Obwohl ich erleichtert sein sollte, verursacht mir seine Bemerkung Unbehagen. Warum haben sie mich herausgepickt? Bin ich diejenige, die sie auf dem Kieker haben? Oder wollten sie Indizien gegen James sammeln? Ich bin mir nicht sicher.
»Ich will raus aus der Stadt«, sage ich. »Meinst du, du könntest dich unauffällig verdrücken? Ich würde gern noch einmal campen.«
James kaut langsam und bedächtig. »Ich kann’s versuchen«, erwidert er.
Es bringt mich fast um, wie leer seine Stimme klingt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich das noch lange durchstehen kann. »Willst du denn nicht mit mir kommen?«, frage ich zaghaft.
Er nickt. »Natürlich will ich das, Baby.«
Ich atme tief aus. Lehne meinen Kopf an seine Schulter. Unter dem Tisch greift James nach meiner Hand, und gleich fühle ich mich besser. Als ob dieses kleine Lebenszeichen etwas bedeuten würde.
Doch dann nehme ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Mein Blick gleitet dorthin. Zu dem Betreuer, der mich lächelnd beobachtet.
10. Kapitel
Die restliche Woche läuft mehr oder weniger nach dem gleichen Schema ab. Ich bemühe mich, nach außen hin normal zu erscheinen, besonders dann, wenn ich spüre, dass er mich beobachtet. Der Betreuer treibt sich bei mir im Unterricht herum, in der Cafeteria. Immer starrt er. Immer zeigt er dieses süffisante Grinsen. Es ist, als wollte er mich allein durch seinen Willen dazu zwingen, einen Fehler zu begehen.
Sie haben James in Ruhe gelassen, ihn nicht extra befragt, und ich zerbreche mir den Kopf, was das bedeuten mag. Habe ich auf den Betreuer so viel deprimierter als James gewirkt? Haben sie bereits beschlossen, dass sie ihn holen werden?
Als der Unterricht am Freitag beendet ist, zerre ich James praktisch hinter mir her aus dem Gebäude, unendlich erleichtert, dass ich nun niemandem mehr etwas vormachen muss. Aber mir ist auch nicht nach Weinen zumute. Komisch, oder? Ich habe mich inzwischen fast schon selbst davon überzeugt, dass Miller gar nicht unser bester Freund war. Nur so kann ich damit fertigwerden.
Ich habe den Wagen schon gepackt, sodass wir direkt losfahren können. James sitzt schweigend neben mir auf dem Beifahrersitz, den Blick
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