Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
Miller gehört hat. Dass er gleich zu Bett geht und am nächsten Morgen das Haus verlässt, noch bevor James aufwacht.
Dann werde ich herüberkommen und James für die Schule fertig machen. Er wird Zeit brauchen, wird mich brauchen, um halbwegs normal zu erscheinen. Aber es wird schon funktionieren. In fünf Monaten wird er achtzehn, und danach können sie ihn nicht mehr wegholen.
Ich werde dafür sorgen, dass er sicher ist, so wie er es für mich getan hat, nachdem mein Bruder gestorben ist. Denn an jenem Tag am Fluss, als mein Bruder sich das Leben nahm, wäre ich beinahe mit ihm gegangen.
8. Kapitel
Mein Bruder und ich waren nur elf Monate auseinander, und doch haben wir nie gestritten. Brady war mein bester Freund, einer meiner wenigen engen Freunde neben Lacey. Und obwohl er James hatte, hat er mich nie ausgeschlossen.
In den Wochen, bevor Brady starb, haben James und ich uns heimlich getroffen. Wenn James bei uns übernachtete, schlich er sich morgens gegen drei in mein Zimmer, küsste mich sanft, während die anderen schliefen. Er pflegte kleine Nachrichten unter meinem Kopfkissen zu verstecken, wenn ich nicht zu Hause war. Wir waren absolut verrückt nacheinander.
Wir haben Brady nie eingeweiht. Nicht, weil wir unser Geheimnis unbedingt für uns behalten wollten, sondern damit unser Verhältnis die Beziehung von uns dreien nicht belastete. Außerdem, wenn alle über James und mich Bescheid gewusst hätten, dann hätten wir uns sicher nicht mehr so unbeschwert treffen dürfen – kein Übernachten mehr, keine gemeinsamen Campingausflüge.
Brady war eine Zeitlang mit Dana zusammen, doch dann machten sie Schluss. Sie hat James erzählt, mein Bruder würde sich seltsam benehmen und wäre gefühlskalt. James wiegelte ab, doch er sprach Brady darauf an. Brady jedoch behauptete, dass es zwischen ihm und Dana nie allzu ernst gewesen sei. Und außerdem habe sie aus dem Mund gerochen.
Mein Bruder hatte es zu seiner speziellen Aufgabe erklärt, mir das Schwimmen beizubringen, und deshalb gingen wir immer zur selben Stelle am Fluss. Dort gab es so gut wie keine Strömung, das Wasser war ruhig wie in einem Pool. Doch an jenem Nachmittag nahm er James und mich an eine neue Stelle mit.
»Es ist wirklich schön dort«, erklärte er uns, während er am Steuer des Wagens saß. »Einfach perfekt.«
James, der hinten auf der Rückbank saß, schnaubte. »Ist mir egal, solange ich deine Schwester im Bikini zu sehen bekomme.«
Brady sah in den Rückspiegel, doch er sagte James nicht, dass er den Mund halten sollte. Lächelnd fuhr er weiter.
Ich drehte mich zu James um, doch der zuckte nur mit den Schultern. Ich erinnere mich daran, wie ich mich fragte, ob wir diesen Tag vielleicht nutzen sollten, um meinem Bruder von uns zu erzählen. Es war an der Zeit, dass er von James und mir erfuhr. Ich war mir nicht mal sicher, ob er nicht ohnehin bereits Bescheid wusste, aber James glaubte es nicht. Er war der Meinung, Brady sei einfach nur von den Abschlussprüfungen gestresst.
Wir bekamen keine Gelegenheit mehr, ihm alles zu erzählen.
Als ich meinen Badeanzug angezogen hatte, stand Brady schon oben am Steilufer und blickte hinunter auf das wild schäumende Wasser. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln.
»Du kannst da drin nicht schwimmen!«, schrie James, der weiter hinten sein Handtuch auf dem Gras ausbreitete. »Wir hätten zu unserer üblichen Stelle fahren sollen!«
Brady sah zu ihm hin. Lichtreflexe tanzten in seinem dunklen Haar, die Sonne verlieh seiner hellen Haut einen fahlen Glanz.
»Ich wollte euch nichts verderben«, rief er zurück.
James zog die Augenbrauen zusammen, dann lachte er. »Was willst du mir nicht verderben?«
»Unseren Badeplatz. Ich dachte mir, dann könnt ihr wenigstens auch später noch dorthin. Vielleicht kannst ja du Sloane endlich das Schwimmen beibringen.« Sein Blick flog zu mir, und er lächelte wieder. »Auf dich hört sie vielleicht eher.«
Ich hielt inne, starrte ihn misstrauisch an. »Was willst du damit …?« Eiskalter Schmerz zerriss mein Herz, als ich plötzlich begriff, als mir klar wurde, was er vorhatte. Und im selben Moment sprang James von seinem Handtuch auf.
Mein Bruder balancierte am Rand eines sechs Meter hohen Steilhangs, neigte den Kopf in meine Richtung, sein Blick verschwamm. Die tiefen Ringe unter seinen Augen schimmerten dunkelblau.
»Passt aufeinander auf«, flüsterte Brady mir zu, als würde er mir ein Geheimnis mitteilen. Und dann breitete er die Arme
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