Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
greift nach meiner Hand und umschließt sie mit seiner. »Klar ist das riskant, das weiß ich. Aber was, wenn die alte Lacey immer noch irgendwo in ihr steckt? Miller muss es wenigstens versuchen, Sloane. So, wie ich es auch bei dir versuchen würde.«
»Und ich bei dir«, antworte ich automatisch, doch James’ Miene verdüstert sich.
»Sag so was nicht«, fährt er mich an. »Denk es nicht einmal.« Er lässt meine Hand los. »Ich würde mich eher umbringen, als mich in ›Das Programm‹ bringen zu lassen.«
Tränen brennen in meinen Augen, denn ich weiß, dass das keine leere Drohung ist. Es ist eine Option, eine sehr wahrscheinliche sogar. Diesmal versucht James nicht, mich zu trösten. Wie auch? Er kann mir nicht versprechen, dass er sich nicht töten würde. Niemand kann das.
Vor sechs Wochen, damals, als sie Lacey geholt haben, musste ich hart dagegen ankämpfen, in jene Depression zu rutschen, die stets auf uns alle zu lauern scheint. Jene Depression, die mir zuflüstert, dass ich es niemals schaffen werde. Dass es leichter wäre, einfach loszulassen.
James hat Miller und mir immer wieder eingehämmert, dass die Lacey, die wir gekannt haben, auf ewig verschwunden ist. So, als wäre sie tot. Und dass wir um sie trauern sollten. Insgeheim. Aber nun ist sie wieder da, und ich weiß nicht länger, was ich empfinden soll.
James sagt erst wieder etwas, als sich Miller zu uns an den Tisch setzt. Er lässt sich auf den Stuhl fallen, und das Geschirr springt dabei auf seinem Tablett. Die Stimmen im Raum klingen wie ein Summen, und doch ist es stiller als sonst. Die Nachricht von Kendras Transfer hat alle nervös gemacht.
Wieder bemerke ich den dunkelhaarigen Betreuer. Er steht am Ausgang und versucht gar nicht erst zu verbergen, dass er mich beobachtet. Ich starre auf meinen halb gegessenen Hamburger. Kendra hat meinen Namen gerufen, als sie nach draußen gezerrt wurde. Sie hat ihn auf mich aufmerksam gemacht. James darf ich nichts davon erzählen.
Genau in diesem Moment legt James sein Kinn auf meine Schulter, seine Finger berühren meine. »Tut mir leid«, murmelt er. »Ich bin ein Idiot. Tut mir leid.«
Ich sehe ihn von der Seite her an. Seine blonden Haare kräuseln sich im Nacken. Aus großen blauen Augen sieht er mich an.
»Ich will nicht, dass dir irgendetwas zustößt«, sage ich ruhig und hoffe, dass Miller mich nicht hört und gleich wieder an Lacey denken muss.
James lehnt seine Stirn gegen meine. Es scheint ihm egal zu sein, dass jeder uns sehen kann. Warm spüre ich seinen Atem an meinen Lippen.
»Ich will auch nicht, dass mir etwas zustößt«, erwidert er. »Deshalb werde ich ja auf uns aufpassen.«
Ich schließe die Augen, lasse die Wärme seines Körpers die kalte Furcht aus meinem Herzen vertreiben. »Versprochen?«
Ich warte so lange auf seine Antwort, dass ich schließlich aufgebe und mich wieder in die dunklen Gedanken fallen lasse. Dass James mir jederzeit entrissen werden kann. Dass man mich wegbringt, damit ich für immer verändert werde.
Doch plötzlich vergräbt James sein Gesicht in meinem Haar. Ich höre auf, mir Sorgen wegen der Leute zu machen, selbst wegen Miller. Ich muss es hören. James weiß, dass ich es hören muss.
Und dann, zu meiner absoluten Erleichterung, flüstern seine Lippen dicht neben meinem Ohr ein »Versprochen!«.
Die Sumpter High ragt vor uns auf, erscheint eher wie ein Krankenhaus als wie eine Schule. Die steinerne Fassade ist weiß getüncht, und ich wette, dass sich keins der rechteckigen Fenster öffnen lässt.
Man kann mit dem Wagen bis vors Gebäude fahren und in dem kreisförmigen Bereich Schüler ein- oder aussteigen lassen, doch Miller und ich sitzen in seinem Pick-up auf dem hinteren Parkplatz und starren beide schweigend vor uns hin.
James will sich hier mit uns treffen. Er hatte noch Unterricht, während Miller und ich eine Beschäftigungsstunde hatten. Doch wir haben uns verdrückt, mit unseren gefälschten Passierscheinen.
In zehn Minuten wird in der Sumpter der Unterricht beendet sein, und die Nervosität, weil wir Lacey gleich wiedersehen werden, wächst. Bei mir genauso wie bei Miller. Ich drehe mich zur Seite, um ihn anzusehen.
Miller hat seine Kappe tief in die Stirn gezogen, sodass sie seine Augen beschattet. Obwohl der Motor abgestellt ist, umklammert er das Lenkrad. So fest, dass seine Knöchel weiß hervortreten.
Und plötzlich habe ich Angst. Vor dem, was er tun könnte. Dass er sich nicht beherrschen kann. Wir sollten
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