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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Stimmungen und Eindrücke, die er in Versen auszudrücken wünschte. Er spürte sie in sich. Er versuchte, seine Seele zu wägen, um zu sehen, ob es die Seele eines Dichters war. Schwermut war die Dominante seines Naturells, dachte er, aber es war eine Schwermut, die abgemildert wurde durch wiederkehrende Zeiten des Vertrauens und der Ergebenheit und schlichter Freude. Wenn er sie in einem Gedichtband zum Ausdruck bringen könnte, würde man ihm vielleicht zuhören. Er würde nie populär werden: Er sah das. Er konnte die Masse nicht begeistern, aber vielleicht könnte er einen kleinen Kreis verwandter Seelen ansprechen. Die englischen Kritiker würden in ihm vielleicht einen der Keltischen Schule * erkennen, wegen der Schwermut seiner Gedichte; außerdem würde er Anspielungen einstreuen. Er begann, sich Sätze und Formulierungen aus künftigen Besprechungen seines Buches auszudenken. Mr Chandlers Begabung für schwerelose, anmutige Verse ... Wehmütige Trauer durchzieht diese Gedichte ... Der keltische Ton. Es war bedauerlich, dass sein Name nicht irischer aussah. Vielleicht wäre es besser, vor seinem Nachnamen den Namen seiner Mutter einzufügen: Thomas Malone Chandler, oder besser noch: T. Malone Chandler. Er würde mit Gallaher darüber reden.
    Er war so in seine Träumereien vertieft, dass er an seiner Straße vorbeilief und umkehren musste. Als er sich Corless näherte, begann ihn seine frühere Erregung zu überwältigen, und er blieb unschlüssig vor der Tür stehen. Schließlich öffnete er die Tür und trat ein.
    Das Licht und der Lärm der Bar hielten ihn an der Schwelle einige Augenblicke zurück. Er schaute sich um, doch seine Sicht wurde durch das Funkeln der vielen roten und grünen Weingläser irritiert. Die Bar schien ihm voll von Leuten zu sein, und er fühlte, dass die Leute ihn neugierig beobachteten. Er sah kurz nach rechts und links (die Stirn leicht gerunzelt, damit es so aussah, als sei er in wichtiger Angelegenheit hier), doch als seine Sicht klarer wurde, merkte er, dass niemand sich nach ihm umgedreht hatte: Und dort, tatsächlich, war Ignatius Gallaher, der breitbeinig dastand, mit dem Rücken an den Tresen gelehnt.
    – Hallo, Tommy, alter Held, da bist du ja! Was soll’s denn sein? Was willst du trinken? Ich nehme einen Whisky: besseres Zeug als das, was wir auf der anderen Insel bekommen. Soda? Wasser? Kein Wasser? Genau wie ich. Verdirbt den Geschmack .... Hallo, garçon , bringen Sie uns zwei kleine Maltwhisky, seien Sie so freundlich ... Na, und was hast du so getrieben, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe? Lieber Himmel, wie alt wir werden! Siehst du’s mir an, dass ich älter geworden bin – hm, was? Ein bisschen grau und licht da oben, was?
    Ignatius Gallaher nahm seinen Hut ab und zeigte einen großen, kurz geschorenen Schädel. Sein Gesicht war breitflächig, blass und glatt rasiert. Seine Augen, die die Farbe von bläulichem Schiefer hatten, milderten seine ungesunde Blässe ab und überstrahlten das lebhafte Orange seiner Krawatte * . Zwischen diesen rivalisierenden Merkmalen erschienen seine Lippen sehr schmal und ohne Form und Farbe. Er beugte seinen Schädel und tastete mit zweimitfühlenden Fingern über sein dünnes Haupthaar. Little Chandler schüttelte verneinend den Kopf. Ignatius Gallaher setzte seinen Hut wieder auf.
    – Das nimmt dich mit, sagte er, dieses Journalistenleben. Immer dalli, dalli, immer auf der Jagd nach einer Story, und manchmal findest du nichts: Und dann, immer musst du etwas Neues in deinem Kram haben. Zum Teufel mit Korrekturfahnen und Druckern, kann ich nur sagen, für die nächsten paar Tage. Ich bin verdammt froh, das kannst du mir glauben, mal wieder in der alten Heimat zu sein. Ich fühle mich schon tausendmal besser, seit ich wieder im lieben, dreckigen Dublin an Land gegangen bin. ... Der ist für dich, Tommy. Wasser? Sag halt.
    Little Chandler ließ es geschehen, dass sein Whisky mit sehr viel Wasser verdünnt wurde.
    – Du weißt nicht, was dir guttut, mein Junge, sagte Ignatius Gallaher. Ich trink meinen pur.
    – Ich trinke grundsätzlich sehr wenig, erklärte Little Chandler bescheiden. Gelegentlich einen kleinen Whisky, wenn ich jemanden von den alten Kumpanen treffe: mehr nicht.
    – Na dann, rief Ignatius Gallaher gut gelaunt, auf uns und auf die alten Zeiten und die alte Freundschaft!
    Sie stießen mit den Gläsern an und tranken auf ihr Wohl.
    – Ich hab heute einen von den alten Kumpanen getroffen, berichtete

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