Dubliner (German Edition)
und Wenn ich wissen würde . Aber was zählte schon die Grammatik, wenn er sie wirklich liebte? Er wusste nicht, ob er sie für das, was sie getan hatte, lieben oder verachten sollte. Natürlich hatte er es auch getan. Sein Instinkt riet ihm dringend, frei zu bleiben, nicht zu heiraten. Wenn du erst verheiratet bist, sagte er sich, ist es aus mit dir.
Während er so in Hemd und Hose ratlos auf der Bettkante saß, klopfte sie leise an die Tür und kam herein. Sie erzählte ihm alles – dass sie ihrer Mutter alles gestanden habe und dass ihre Mutter noch an diesem Vormittag mit ihm reden wolle. Weinend schlang sie die Arme um seinen Hals und rief:
– Ach Bob! Bob! Was soll ich tun? Was soll ich denn nur tun?
Sie werde ihrem Leben ein Ende machen, sagte sie.
Er tröstete sie zaghaft und bat sie, nicht mehr zu weinen, es werde schon alles gut, keine Angst. Durch sein Hemd spürte er die Wallung ihres Busens.
Es war nicht allein seine Schuld, dass es passiert war. Er erinnerte sich mit dem seltsam beharrlichen Gedächtnis des Junggesellen genau an die ersten zufälligen Liebkosungen durch ihr Kleid, ihren Atem, ihre Finger. Dann, eines spätenAbends, als er sich gerade auszog, hatte sie schüchtern an seine Tür geklopft. Sie wollte ihre Kerze, die ein Luftzug ausgelöscht hatte, an seiner Kerze wieder anzünden. Es war der Abend, an dem sie ihr Bad nahm. Sie trug einen weiten, offenen Frisierumhang aus gemustertem Flanell. Der Rücken ihres Fußes schimmerte weiß in der Öffnung ihres Fellpantoffels, und unter ihrer duftenden Haut war die Wärme des Blutes. Auch von ihren Händen und Handgelenken ging ein zarter Duft aus, als sie die Kerze anzündete.
Wenn er abends einmal sehr spät nach Hause kam, war sie es, die ihm das Essen wärmte. Er merkte kaum, was er aß, wenn er sie neben sich fühlte, so allein, bei Nacht, in dem schlafenden Haus. Und wie aufmerksam sie war! War die Nacht einmal kalt oder nass oder windig, stand immer ein Gläschen Punsch für ihn bereit. Vielleicht könnten sie doch glücklich miteinander werden ...
Auf Zehenspitzen waren sie immer zusammen nach oben gegangen, jeder mit einer Kerze, und auf dem dritten Treppenabsatz hatten sie einander zögernd Gute Nacht gesagt. Sie hatten sich geküsst. Er konnte sich gut an ihre Augen, die Berührung ihrer Hand und seine Verzückung erinnern ...
Aber Verzückung vergeht. Er wiederholte ihre Worte und bezog sie diesmal auf sich: Was soll ich tun? Der Instinkt des Junggesellen ermahnte ihn, sich zurückzuhalten. Aber die Sünde war geschehen; auch sein Ehrgefühl sagte ihm, dass eine solche Sünde Wiedergutmachung verlangte.
Während er so neben ihr auf der Bettkante saß, kam Mary an die Tür und sagte, die gnä’ Frau wünsche ihn im Salon zu sprechen. Mr Doran stand auf, hilfloser denn je, um sich Rock und Weste anzuziehen. Als er damit fertig war, trat er wieder zu ihr, um sie zu trösten. Es werde schon alles gut werden, keine Angst. Er ging, weinend blieb sie auf dem Bett zurück und schluchzte leise. O mein Gott!
Während er die Treppe hinunterging, beschlug seine Brille so stark, dass er sie absetzen und putzen musste. Er wünschte sich, durch das Dach aufsteigen und davonfliegen zu können in ein anderes Land, wo er sein Problem für immer los wäre, aber etwas Mächtiges zwang ihn Stufe um Stufe die Treppe hinunter. Die unversöhnlichen Gesichter seines Chefs und der Madame starrten ihn in seiner Ausweglosigkeit an. Auf dem letzten Stück der Treppe begegnete er Jack Mooney, der gerade aus der Vorratskammer kam und zwei Flaschen Bass * im Arm wiegte. Sie grüßten einander frostig; und für ein paar Sekunden fiel der Blick des Liebhabers auf ein fleischiges Bulldoggengesicht und ein Paar kurze, fleischige Arme. Als er am Fuß der Treppe angekommen war, schaute er noch einmal die Treppe hinauf und sah, wie Jack ihn von der Tür des Hinterzimmers aus fixierte.
Plötzlich erinnerte er sich an den Abend, als einer der Varietékünstler, ein kleiner Blonder aus London, eine etwas anzügliche Bemerkung über Polly gemacht hatte. Die Gesellschaft wäre fast geplatzt, so sehr hatte Jack getobt. Alle versuchten ihn zu beruhigen. Der Varietékünstler, ein wenig blasser als sonst, lächelte weiter und sagte, es sei doch nicht so gemeint gewesen: Aber Jack brüllte ihn weiter an und sagte, wenn einer sich mit seiner Schwester solche Scherze erlaube, dann werde er diesem Dreckskerl alle Zähne einschlagen, das könne man ihm glauben.
Polly
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