Dubliner (German Edition)
Ach, ’s ist nichts, sagte der Verletzte und versuchte auf die Füße zu kommen.
Man half ihm auf. Der Wirt sagte etwas von einem Krankenhaus, und einige der Anwesenden gaben Ratschläge. Der zerbeulte Zylinder wurde dem Mann auf den Kopf gesetzt. Der Wachtmeister fragte:
– Wo wohnen Sie?
Ohne darauf zu antworten, fing der Mann an, seine Schnurrbartspitzen zu zwirbeln. Er bagatellisierte seinen Unfall. Es sei nichts passiert, sagte er, nur ein kleines Missgeschick. Er sprach sehr undeutlich.
– Wo wohnen Sie?, wiederholte der Wachtmeister.
Der Mann bat, man möge ihm eine Droschke rufen. Während darüber noch debattiert wurde, erschien aus dem hinteren Teil der Kneipe ein großer, lebhafter Herr von blasser Gesichtsfarbe, der einen langen gelben Überzieher trug. Als er das Schauspiel sah, rief er:
– Hallo, Tom, alter Freund! Ist was passiert?
– Ach, ’s ist nichts, sagte der Mann.
Der neu Hinzugekommene besah sich die bedauernswerte Gestalt, die vor ihm stand, und sagte dann, zu dem Wachtmeister gewandt:
– Schon gut, Wachtmeister, ich bringe ihn nach Hause.
Der Wachtmeister hob die Hand an seinen Helm und erwiderte:
– In Ordnung, Mr Power!
– Komm jetzt, Tom, sagte Mr Power und nahm seinen Freund am Arm. Nichts gebrochen, oder? Kannst du gehen?
Der junge Mann im Radfahreranzug fasste den anderen Arm des Mannes, und die Menge machte ihnen Platz.
– Wie hast du dich nur so zugerichtet?, fragte Mr Power.
– Der Herr ist die Treppe hinuntergefallen, sagte der junge Mann.
– ’ch bin ’en sehr ssu Dank verf ’ichtet, Sir, sagte der Verletzte.
– Nicht der Rede wert.
– Kömm’wer nich noch ’n kleinen ...?
– Jetzt nicht. Jetzt nicht.
Die drei Männer verließen die Kneipe, und die Menge rieselte durch die Türen wieder hinaus in die Gasse. Der Wirt führte den Wachtmeister zur Treppe, sodass dieser die Unfallstelle inspizieren konnte. Sie waren sich einig, dass der Herr den Halt verloren haben musste. Die Gäste kehrten zurück an den Tresen, und ein Kellner machte sich daran, die Blutspuren am Fußboden zu beseitigen.
Als sie die Grafton Street erreichten, machte Mr Power einer Droschke ein Zeichen. Der Verletzte wiederholte, so gut er konnte:
– ’ch bin ’en sehr ssu Dank verf ’ichtet, Sir. Ich hoffe, wir seh’n uns mal wieder. Name is Kernan.
Der Schock und die einsetzenden Schmerzen hatten ihn etwas ernüchtert.
– Keine Ursache, sagte der junge Mann.
Sie gaben sich die Hand, Mr Kernan wurde in das Fahrzeug gehoben, und während Mr Power dem Fahrer den Weg beschrieb, drückte der Verletzte dem jungen Mann seine Dankbarkeit aus und bedauerte, dass sie nicht noch ein Gläschen miteinander trinken konnten.
– Ein andermal, sagte der junge Mann.
Der Wagen fuhr in Richtung Westmoreland Street davon. Als er das Ballast Office * passierte, zeigte die Uhr halb zehn. Ein scharfer Ostwind blies ihnen von der Flussmündung her entgegen. Mr Kernan hatte sich vor Kälte zusammengekauert. Sein Freund bat ihn zu erzählen, wie es zu dem Unfall gekommen war.
– Kann ’icht, antwortete er. Ha’ mir ’f die ’sunge ’ebissn.
– Zeig mal.
Der andere lehnte sich über die Ablage und sah in Mr Kernans Mund, konnte aber nichts erkennen. Er zündete ein Streichholz an, und indem er es mit beiden Händen schützte, sah er nochmals in Mr Kernans Mund, den dieser gehorsam öffnete. Durch das Schwanken des Wagens war das Streichholz dem offenen Mund mal näher, mal weiter entfernt. Die unteren Zähne und das Zahnfleisch waren von geronnenem Blut bedeckt, und ein winziges Stück der Zunge war anscheinend abgebissen worden. Das Streichholz verlosch.
– Sieht übel aus, sagte Mr Power.
– Ach, ’s ist nichts, sagte Mr Kernan, schloss seinen Mund und zog den Kragen seines verschmutzten Mantels am Hals zusammen.
Mr Kernan war ein Handlungsreisender der alten Schule, der noch an die Würde seines Berufes glaubte. Nie hatte man ihn in der Stadt ohne einen einigermaßen ordentlichen Zylinder und ohne Gamaschen gesehen. Diesen zwei Bekleidungsartikeln, so sagte er, verdanke es ein Mann, dass er sich überall sehen lassen könne. Er führte die Tradition seines Napoleons, des großen Blackwhite * , fort, dessen Andenken er gelegentlich durch Erzählung und Nachahmung wachhielt. Moderne Geschäftsmethoden hatten ihn nur insofern verschont, als sie ihm ein kleines Büro in der Crowe Street genehmigten, wo das Rouleau am Fenster den Namen seiner Firma trug und die Adresse
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