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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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jetzt hast du keine Schmerzen?, fragte Mr M’Coy.
    Mr M’Coy war seinerzeit ein recht angesehener Tenorgewesen. Seine Frau, eine Sopranistin, gab auch jetzt noch kleinen Kindern Klavierstunden zu günstigen Preisen. Sein Lebenslauf war nicht die direkteste Verbindung zwischen zwei Punkten gewesen, und zeitweilig hatte er von der Hand in den Mund leben müssen. Er war Angestellter bei der Midland Railway gewesen, Anzeigenakquisiteur für die Irish Times und The Freeman’s Journal , Vertreter auf Kommissionsbasis für eine Kohlenhandlung in der Stadt, Mitarbeiter einer Auskunftei, Angestellter beim Gerichtsvollzieher, und vor Kurzem war er Sekretär des städtischen Gerichtsmediziners geworden. Dieses neue Amt hatte sein berufliches Interesse an Mr Kernans Fall geweckt.
    – Schmerzen? Kaum, erwiderte Mr Kernan. Aber ich fühle mich schlecht. Mir ist speiübel.
    – Das kommt vom Trinken, sagte Mr Cunningham mit Bestimmtheit.
    – Nein, sagte Mr Kernan. Ich glaube, ich habe mich in diesem Wagen erkältet. Irgendwas sitzt mir im Hals, Schleim oder ...
    – Mucus, sagte Mr M’Coy.
    – Es steigt wie von unten rauf in meinen Hals ... widerlich.
    – Ja, ja, sagte Mr M’Coy, das ist der Thorax.
    Mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete, sah er Mr Cunningham und Mr Power gleichzeitig an. Mr Cunningham nickte heftig, und Mr Power sagte:
    – Na ja, Ende gut, alles gut.
    – Bin dir sehr zu Dank verpflichtet, alter Freund, sagte der Patient. Mr Power machte eine abwehrende Handbewegung.
    – Die anderen beiden, mit denen ich zusammen war ...
    – Mit wem warst du denn zusammen?, erkundigte sich Mr Cunningham.
    – Mit einem Mann. Name fällt mir nicht ein. ZumKuckuck, wie hieß er nur? Kleiner Bursche mit rotblondem Haar ...
    – Und mit wem noch?
    – Harford.
    – So?, sagte Mr Cunningham.
    Wenn Mr Cunnningham das sagte, verstummten die Leute. Es war bekannt, dass der Sprecher geheime Informationsquellen besaß. In diesem Fall hatte diese eine Silbe eine wertende Bedeutung. Mr Harford schloss sich manchmal einer kleinen Gruppe an, die Dublin an einem Sonntag kurz nach Mittag verließ mit dem Ziel, so bald wie möglich ein Pub in den Außenbezirken der Stadt zu erreichen, wo sich die Männer dann prompt als Reisende ausgaben. * Seine Mitreisenden waren jedoch nie gewillt gewesen, seine Herkunft zu vergessen. Er hatte als unbedeutender Geldverleiher angefangen, der Arbeitern kleine Beträge zu Wucherzinsen lieh. Später war er der Partner eines sehr dicken kleinen Herrn geworden, eines Mr Goldberg von der Liffey-Kreditbank. Obgleich er sich nie mehr als die jüdische Geschäftsmoral zu eigen gemacht hatte, nannten ihn seine katholischen Glaubensbrüder, wenn sie persönlich oder indirekt unter seiner Unerbittlichkeit zu leiden hatten, in ihrem Groll einen irischen Juden und einen unkultivierten Menschen, und sie glaubten, in seinem schwachsinnigen Sohn manifestiere sich Gottes Missbilligung der Wucherei. Zu anderen Zeiten erinnerten sie sich aber an seine guten Seiten.
    – Ich möchte nur wissen, wo er geblieben ist, sagte Mr Kernan.
    Er wollte die Einzelheiten des Vorfalls gerne im Dunkeln lassen. Er wollte seine Freunde glauben machen, dass es ein Versehen gegeben habe, dass Mr Harford und er einander verfehlt hätten. Die Freunde, die mit Mr Harfords Trinkgewohnheiten recht gut vertraut waren, schwiegen dazu. Mr Power sagte noch einmal:
    – Ende gut, alles gut.
    Mr Kernan wechselte schnell das Thema.
    – Das war ein feiner Kerl, dieser junge Mediziner, sagte er. Wenn der nicht gewesen wäre ...
    – Oh, wenn der nicht gewesen wäre, sagte Mr Power, hätte es wahrscheinlich sieben Tage ohne Bewährung gegeben.
    – Ja, ja, sagte Mr Kernan und versuchte, sich zu erinnern. Jetzt weiß ich es wieder, da war ein Polizist. Schien ein anständiger junger Bursche zu sein. Wie ist das überhaupt passiert?
    – Das ist passiert, weil du sternhagelvoll warst, Tom, sagte Mr Cunningham ernst.
    – Bekenne mich schuldig, sagte Mr Kernan ebenso ernst.
    – Ich nehme an, du hast dem Wachtmeister etwas zugesteckt, Jack, sagte Mr M’Coy.
    Mr Power schätzte es nicht, wenn er mit seinem Vornamen angeredet wurde. Er war nicht überempfindlich, aber er trug es Mr M’Coy nach, dass dieser vor Kurzem einen Kreuzzug unternommen hatte, um Koffer und Reisetaschen aufzutreiben, damit Mrs M’Coy erfundene Engagements draußen im Land wahrnehmen konnte. Ihn ärgerte nicht so sehr die Tatsache, dass er betrogen worden war, ihn

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