Dubliner (German Edition)
ärgerte vielmehr die Plumpheit des Schwindels. Er beantwortete die Frage deshalb so, als hätte Mr Kernan sie gestellt.
Der Bericht versetzte Mr Kernan in Rage. Er war stolz darauf, ein Bürger Dublins zu sein, wünschte mit seiner Stadt in wechselseitigem Einvernehmen zu leben und empörte sich über jede Verunglimpfung durch Leute, die er als Bauerntölpel bezeichnete.
– Zahlen wir etwa dafür unsere Steuern?, fragte er. Nur um diese Hohlköpfe mit Essen und Kleidung zu versorgen? Das sind doch nichts als Hohlköpfe!
Mr Cunningham lachte. Er vertrat lediglich während der Dienststunden die Obrigkeit.
– Was kann man schon anderes von ihnen erwarten, Tom?, sagte er.
Er verfiel in einen breiten ländlichen Dialekt und sagte im Befehlston:
– 65, schnapp dir deinen Kohl!
Alle lachten. Mr M’Coy, der unbedingt wieder in die Unterhaltung mit einbezogen werden wollte, tat so, als hätte er die Geschichte noch nie gehört. Mr Cunningham sagte:
– Das spielt sich – so wird jedenfalls behauptet – im Depot ab, wo diese riesigen Lümmel vom Land, diese Dorftrottel, zum Drill hinkommen. Der Sergeant lässt sie in einer Reihe an der Wand antreten und ihre Teller vor sich herhalten.
Er veranschaulichte das Erzählte durch groteske Bewegungen.
– Wenn sie ihre Mahlzeit bekommen, versteht ihr? Dann hat er da vor sich diesen riesigen Kessel mit Kohl und eine Kelle, so groß wie eine Schaufel. Er nimmt eine Kelle voll und schmettert den Kohl quer durch den Raum, und die armen Teufel müssen versuchen, ihn mit ihren Tellern aufzufangen: 65 , schnapp dir deinen Kohl!
Alle lachten wieder: Aber Mr Kernan war noch immer ein wenig verstimmt. Er sagte etwas von einem Brief, den er an die Zeitung schreiben wolle.
– Diese ungehobelten Bengel kommen hierher und glauben, sie könnten einen herumkommandieren. Dir brauche ich ja nicht zu sagen, Martin, was das für Männer sind.
Mr Cunningham stimmte bedingt zu.
– Es ist wie mit allem im Leben, sagte er. Es gibt schlechte und es gibt gute.
– Ja, ich gebe zu, es sind auch gute dabei, sagte Mr Kernan zufrieden.
– Es ist besser, wenn man nichts mit ihnen zu tun hat, sagte Mr M’Coy. Das ist meine Meinung.
Mrs Kernan kam herein, stellte ein Tablett auf den Tisch und sagte:
– Bedienen Sie sich, meine Herren.
Mr Power stand auf, um den Gastgeber zu spielen, und bot ihr seinen Stuhl an. Sie lehnte aber ab mit dem Hinweis, sie sei im unteren Stockwerk dabei zu bügeln. Hinter Mr Powers Rücken tauschte sie ein Kopfnicken mit Mr Cunningham aus und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, als ihr Mann ihr zurief:
– Und was bekomme ich, Herzchen?
– Ach du! Du bekommst was hinter die Ohren!, sagte Mrs Kernan spitz.
Ihr Mann rief ihr nach:
– Nichts für deinen armen Männe!
Er sagte das so komisch und zog dazu ein so drolliges Gesicht, dass die Verteilung der Stout-Bier-Flaschen unter allgemeiner Heiterkeit stattfand.
Die Herren tranken aus ihren Gläsern, stellten diese wieder auf den Tisch und schwiegen für kurze Zeit. Dann wandte sich Mr Cunningham an Mr Power und sagte beiläufig:
– Am Donnerstagabend, hast du gesagt, Jack?
– Ja, Donnerstag, entgegnete Mr Power.
– Abgemacht!, sagte Mr Cunningham prompt.
– Wir könnten uns bei M’Auley’s treffen, sagte Mr M’Coy. Das liegt am günstigsten.
– Aber wir dürfen nicht zu spät hingehen, sagte Mr Power mit Nachdruck, sonst ist es gerammelt voll.
– Wir könnten uns um halb acht treffen, schlug Mr M’Coy vor.
– Einverstanden!, sagte Mr Cunnigham.
– Also dann, um halb acht bei M’Auley’s!
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Mr Kernan wartete ab, ob seine Freunde ihn einweihen würden. Dann fragte er:
– Was habt ihr denn vor?
– Ach, nichts, sagte Mr Cunningham. Nur eine Kleinigkeit, die wir uns für Donnerstag vorgenommen haben.
– Geht’s in die Oper?, fragte Mr Kernan.
– Nein, nein, sagte Mr Cunnigham ausweichend, es ist nichts Besonderes, nur etwas ... Spirituelles.
– Ah, sagte Mr Kernan.
Wieder trat Schweigen ein. Dann sagte Mr Power geradeheraus:
– Um die Wahrheit zu sagen, Tom, wir wollen einen Bußgottesdienst besuchen.
– So ist es, bestätigte Mr Cunningham. Jack und ich und M’Coy hier – wir wollen den alten Adam reinwaschen.
Er gebrauchte diese Metapher mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, und durch seine eigene Stimme ermutigt fuhr er fort:
– Weißt du, wir können es ja ruhig zugeben: Wir sind alle ganz schöne Strolche,
Weitere Kostenlose Bücher