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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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aber nicht für lange. Vollends verwirrt trat er wieder daraus hervor und trabte nach einem letzten Blick über den kleinen Platz mit hängendem Kopf davon. Auf den Gedanken, den Friedhof genauer zu inspizieren, kam er nicht. Ich richtete mich hinter dem Grabstein auf, sobald ich es für ungefährlich hielt. Der Grabstein beschützte die letzte Ruhestätte von Benedetto Gherardini, geboren 1465, gestorben 1468. Vielleicht hatten seine Eltern ihm noch die grandiose Kuppel des Doms zeigen können, die in diesem Jahr fertig geworden war, bevor er starb. Seine kleinen Gebeine waren schon zu Staub zerfallen, ehe die Kuppel den ersten Grünspan ansetzen konnte. Ich sprach ein kurzes Gebet für ihn und machte mich daran, meinem unglücklichen Verfolger nachzuschleichen.
    Er bewegte sich mit der groben Eile eines Menschen, der wütend auf sich selbst ist. Sein hoher Hut war nicht nur lächerlich, er war ihm auch zu klein, und da er niemals gelernt hatte, anders als mit schlenkernden Armen, pumpenden Schultern und nickendem Kopf zu gehen, tanzte der Hut auf seinem Haupt hin und her wie betrunken. Schließlich nahm er ihn ab und trug ihn mit spitzen Fingern. Es kam ihm nicht einmal in den Sinn, sich umzusehen – seine Gedanken beschäftigten sich damit, wie es hatte passieren können, dass ich ihn abgeschüttelt hatte.
    Zu meinem Erstaunen ließ er Santa Trinità rechts liegen und marschierte am Arno-Ufer entlang flussabwärts zur nächsten Brücke, über die er mich nach Oltr’ Arno hinüberführte. Ich hatte erwartet, dass er ins Haus von Antonio Pratini zurückkehren würde, um den Fehlschlag seiner Mission zu beichten -und zwar an Rudolf Gutswalter. Wen er allerdings hier aufsuchen wollte, war mir ein Rätsel.
    Er ging bis zur Stadtmauer, die sich in der Höhe des Stützwehrs erhob und mit einer weiten Kurve nach Süden schwang. Die Häuser hier waren längst schon keine Patrizierhäuser mehr, sondern einfache, zum Teil ungepflegte Bauten ohne Putz und mit schmucklosen, flach gewinkelten Dächern. In den Fensterhöhlen war kein Glas, in den Türöffnungen keine Türen, und wenn man durch sie hindurch in einen Innenhof blicken konnte, sah man Vorratsschuppen und festgetrampeltes Erdreich. Die Geräusche von Handwerkern drangen daraus hervor, Sägen, Klopfen und Hämmern, untermischt von Kinderweinen oder dem rhythmisch-heiseren Gesang, den ein Arbeiter bei sei-. nem# Werk von sich gab. Als er in eine niedrige Türöffnung einen Steinwurf weit vom Turm eines Stadttores schlüpfte, hätte ich ihn beinahe verloren. Nur der Umstand, dass der Sturz der Tür so niedrig war, dass er seinen Schritt verlangsamen und sich bücken musste, rettete mich. Das Haus war zweistöckig und klein und stand zwischen zwei vierschrötigen Lagerstadeln, deren oberstes Stockwerk weit überkragte. Ich drückte mich hinter den Mauervorsprung eines anderen Hauses und wartete darauf, dass er wieder herauskommen würde. Er tat es nicht. Schließlich schlich ich näher heran und spähte in die Türöffnung des kleinen Hauses.
    Er stand in einem düsteren, schattigen Innenhof, nicht größer als das Gesindezimmer in einem Patrizierhaus. Die beiden großen Gebäude zu den Seiten des Hauses schlossen das Sonnenlicht aus; dasselbe tat die wuchtige Wand der Stadtmauer, die sich gleich dahinter erhob. Die ganze Häuserzeile musste zu denen gehören, die bei der Errichtung der Stadtmauer nicht abgerissen worden waren, sondern im Verteidigungsfall von ihren Bewohnern geräumt und als Depot für Waffen, Steine und zum Erhitzen des Pechs verwendet wurden. Tatsächlich führte eine Treppe hinter dem Haus an der Mauer in die Höhe, an deren Ende ein eisernes Tor den Zugang zum Mauerkranz versperrte. In der Regel bezogen die schlechten Weiber diese Bauten. In Städten wie Florenz, wo die schlechten Weiber über die ganze Stadt verteilt waren, wurden sie von den Menschen bezogen, die außer der Erlaubnis, innerhalb der Stadtmauern zu wohnen, nichts besaßen. Er hatte seinen Hut und seine Schaube abgelegt und dafür seine Lederschürze angezogen. Eine abgehärmte Frau mit einem Kind auf dem Arm stand neben ihm und keifte auf ihn ein; zu ihren Füßen saß ein etwas älteres Kind und weinte aus Leibeskräften, und aus dem Inneren des Hauses ertönte das wütende Streiten weiterer Kinder. Er schien von alledem nichts zu hören; sein Gesicht war dunkel und hart, und er schwang einen schlanken, spitzen Hammer in der Linken, den er mit mühsam beherrschten Schlägen auf

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